Mid90s – Skatesession mit Jonah Hill

Jonah Hills Regie- und gleichzeitig auch Drehbuchdebüt “Mid90s” ist eine Coming-of-Age Story, die sich um die Skaterszene in Los Angeles von vor mehr als zwei Jahrzehnten dreht. Stevie, ein Mittelschüler aus einfachem Haus, sieht seine vielbeschäftigte Mutter nicht häufig, und wird von seinem älteren Bruder fast täglich verprügelt.  Einzige Ausflucht – die lokale Skaterszene. 

Jonah Hill, bekannt geworden durch Superbad und groß rausgekommen neben Leonardo DiCaprio in The Wolf of Wall Street und zuletzt noch auf Netflix in Cary Joji Fukunagas (True Detective Staffel 1, Sin Nombre) neuen Serie Maniac neben Emma Stone brilliert. Man merkt, der Mann hat Ambitionen und will noch hoch hinaus. Was kommt also als nächstes? Ein Regiedebüt und obendrauf schreibt er das Drehbuch noch selbst. Stellt sich nur die Frage, ob ein verkopftes Erstlingswerk á la Studentenfilm oder doch etwas Brauchbares mit Hand und Fuß rauskommt. 

An Connections und handwerklichen Einflüssen mangelt es Hill nicht. Da wäre Martin Scorsese (Taxi Driver, The Wolf of Wall Street). Mit ihm hatte Hill vor Produktionsbeginn eigentlich ein 15-minütiges Gespräch geplant, rausgekommen sind dabei vier Stunden, in denen er sich wohl einige Tipps geholt hat. Außerdem wären da noch Seth Rogen und Evan Goldberg, mit denen Hill seinen Durchbruch feierte. Sie hatten, laut ihm, einen großen Einfluss auf die Fragen des “Was” und “Warum” eines Filmschaffenden. 

 

“I got to watch Seth and Evan and [“Superbad” director] Greg Mottola make something that was truly what they wanted to make. It was their voice, their ethic, their aesthetic, their emotions.”

– Jonah Hill

 

Demnach ein solides Fundament auf dem man sein Debüt fußen kann. Bühne frei für Mid90s. Der 13-jährige Stevie wächst im Los Angeles der 90er auf. Freunde hat er keine, zu seinem Bruder Ian schaut er zwar auf und bewundert ständig seine Sammlung an Mixtapes, Caps und Postern, doch verprügelt er ihn vermeintlich grundlos auch fast täglich. Ihre Mutter Dabney ist vielbeschäftigt und hat wenig Zeit für die beiden. Dennoch ist sie stets liebevoll und aufmerksam, auch wenn sie manchmal etwas zu offen über ihr Liebesleben mit den beiden redet. Zuflucht findet Stevie in einer Gruppe von Skatern, die er auf der Straße sieht. Nach anfänglichen Schwierigkeiten bandelt er mit der Gruppe an und behauptet sich. Ein neues Leben beginnt für ihn. 

Fourth Grade, Ray, Ruben, Stevie und Fuck Shit am nächsten Skatespot - A24

Mid90s. Wenn man Titel hört könnte man schnell auf einen der vielen auf der Nostalgiewelle reitenden Cashgrabs vor sich sehen. Jonah Hill hat allerdings genau das vermieden und das liegt am Herzblut, welches er in diesen Film gesteckt hat. Man könnte Hills Debüt nämlich genauso gut ins Genre des Period-Piece oder Historiendrama packen und niemand hätte Einwände. Er fängt die 90er so wie sie waren ein. Skaten, Hip Hop, Street Fighter, Sneaker, Caps, Alkohol und homophobe Ausrufe, wo immer sie auch am schlechtesten passen. Wem machen wir was vor? So war es nunmal und so sollte man es auch zeigen und den Zeitgeist nicht künstlich verbiegen, damit man aus der politisch korrekten Gegenwart auf der Vergangenheit herumreitet. Roh und dreckig , aber dafür umso ehrlicher.

Und das sind auch die Charaktere. Ehrlich. Angefangen beim kleinen Stevie, gespielt von Sunny Suljic, den die meisten hoffentlich aus The Killing of a Sacred Deer kennen werden. Eine schwierige Familie und keine Freunde. Plötzlich lernt man eine Gruppe Älterer kennen und rutscht irgendwie da rein. Die Dynamik ist zuerst kompliziert und er weiß nicht wirklich was er machen und was er lassen soll. Wird Stevie jedoch um etwas gebeten, springt er sofort auf. Das Gefühl von Zugehörigkeit kommt auf. Echte Freude und wir freuen uns mit ihm.

Wären da noch die anderen Gruppenmitglieder. Fuckshit (Olan Prenatt) ein Unruhestifter aus reichem Haus, der sich manchmal zu viel rausnimmt und immer Witze reißt. Fourth Grade (Ryder McLaughlin) ein ambitionierter Filmemacher, Ruben (Gio Galicia) über den Stevie zur Gruppe findet und Ray (Na-Kel Smith), das Herz der Gruppe und der Vernünftige, der sich nach Sponsoren fürs Skaten umsieht und die Gruppe letztlich führt. Klingt alles soweit recht stereotypisch. Ist es auch, aber auf einem Level, dass sich in das Gesamtkonzept des Films gut eingliedert. Eine Momentaufnahme einer Gruppe, einer Szene und wir kratzen als Zuschauer nur an der Oberfläche, wissen aber, dass dort wesentlich mehr ist.

Bruder Ian gönnt Stevie eine kleine Verschnaufpause von der Prügel - A24

Bliebe noch Lucas Hedges (Lady Bird, Manchester by the Sea), der Stevies Bruder Ian spielt. Achselshirt, Kette um den Hals, den Schrank voller Sneaker und die Faust in der Magengrube des Bruders. Statt den sonst recht verletzlichen Charakteren bekommen wir hier einen rücksichtslosen Bully. Klischee, aber auch hier verbirgt sich mehr hinter der harten Fassade.

Der Hip Hop der 90er – ist er einfach nur platt eingebunden und wirkt fehl am Platz? Nein, er fügt sich ausgesprochen natürlich in den Film ein und fühlt sich als Teil der Welt rund um Stevie. Dabei beinhaltet das Mixtape “Mid90s” alles von den Pixies über Public Enemy bis hin zu Wu-Tang Clan und N.W.A.. Zu verdanken ist das Jonah Hill. Er war nicht nur bei der Promo in etlichen Hip Hop-Radiosendungen zu Gast, sondern hat auch persönlich bei den Artists vorbeigeschaut um die Rechte für die Musik zu bekommen. Herzblut und Schweiß ist hier geflossen und das spürt man in jedem Beat der angespielt wird.

16mm und in 4:3, wie ein altes Skatevideo, es fehlt nur noch die Fischaugenoptik. Kameramann Christopher Blauvelt (The Bling Ring, Certain Women) gibt jeder Szene einen körnige und ausgewaschenen Look, als würde Mid90s für zwei Jahrzehnte im Archiv gelegen haben und jetzt erst ausgegraben werden. Die 90er leben und das unter Anderem dank der außergewöhnlichen Kameraarbeit.

So kommt es, dass Jonah Hill sein Debüt wirklich feiern kann. Mid90s ist ein ehrlicher, wenn auch kurzer und recht oberflächlicher Blick auf eine Gruppe von Skatern. Er wird nicht jedem gefallen, das steht fest, aber ihm eine Chance geben sollte man, wenn es auch nur durch den Trailer passiert.

 

Regie: Jonah Hill

Genre: Drama/ Comedy-Drama

Crew: Screenplay: Jonah Hill. Camera (color, widescreen): Christopher Blauvelt. Editor: Nick Houy. Music: Trent Reznor, Atticus Ross.

Cast: Sunny Suljic, Lucas Hedges, Na-kel Smith, Gio Galicia, Ryder McLaughlin, Alexa Demie, Katherine Waterston, Olan Prenatt.


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