Der Leuchtturm – Filmgewordener Sirenengesang

Wahnsinn und Genialität liegen oft nicht weit voneinander entfernt – Robert Eggers hat bereits mit The Witch bewiesen, dass er Klassik und Mysterium auf eine völlig neue Ebene heben kann. Mit Der Leuchtturm versetzt er uns diesmal auf ein einsames Eiland, lässt die Wellen an den kalten Fels schlagen und treibt uns immer weiter in den unausweichlichen Wahnsinn.

Von Männern, die auf Wellen starren

Maine, Ende des 19. Jahrhunderts: Der alteingesessene Leuchtturmwärter Thomas Wake (Willem Dafoe) und sein neuer Gehilfe Ephraim Winslow (Robert Pattinson) treten ihre einmonatige Schicht auf einer kleinen, einsamen Insel kurz vor der Küste an. Die Wartung und Beaufsichtigung des Leuchtturms soll zwischen Wake und Winslow laut Handbuch aufgeteilt werden, doch der knorrige Seemann Wake lässt den jungen Winslow nicht in die Nähe des Leuchtsignals auf der Spitze des Turms. Ephraim muss stattdessen harte Knochenarbeit verrichten und sich um die Reparaturen um und innerhalb des Leuchtturms kümmern.  Spannungen bauen sich zwischen den Männern auf, doch die beiden kommen sich auch immer näher, meist nach ein paar Flaschen Schnaps. Schließlich sind die vier Wochen vorbei und die Schicht beendet, doch ein starker Sturm zieht auf und die Leuchtturmwärter sind auf der Insel gefangen. Wie lange? Das bleibt ungewiss…

Willem Dafoe und Robert Pattinson: Zwei Männer und ein verhängnisvoller Leuchtturm "Der Leuchtturm"- © Universal Pictures

Im Rausch des Wahnsinns

Robert Pattinson, der Mann hinter Ephraim Winslow, ist schon lange sehr weit weg von seinem einstigen Vampirimage. Ähnlich seiner blutdürstigen Leinwandpartnerin Kristen Stewart, hat er sich im Nischen- und Independentfilm breitgemacht. Unter anderem war er unter Größen wie Werner Herzog (Königin der Wüste), den Safdie-Brüdern (Good Time), James Gray (Die versunkene Stadt Z, den man sich gerne auf die Watchlist legen darf),  und Claire Denis (High Life, den man wiederum komplett außer Acht lassen kann, sofern man nicht Gefallen an verkopftem Sci-Fi findetschauspielerisch tätig. 2019 nimmt er einen weiteren Filmschaffenden in seine Sammlung auf, Robert Eggers, einer der aufstrebendsten und interessantesten Regisseure Hollywoods.

Durch den Kritikerliebling und Box Office-Erfolg The Witch konnte Robert Eggers sein nächstes Projekt Der Leuchtturm so umsetzen wie er es wollte. Nicht nur die finanziellen Mittel waren nun gegeben, vor allem wurde ihm kreative Freiheit gelassen und ein Cast zur Seite gestellt, der seines Gleichen sucht: Robert Pattinson und Willem Dafoe. Ein junger experimentierfreudiger Schauspieler und ein alteingesessener Hollywood-Veteran. Zwei Schauspieler, die sich keine Blöße geben und so alles aus sich und ihrem Gegenüber rausholen. Ein Raufen um den besten Platz im Boot, eine Krume Brot und den letzten Tropfen Schnaps.   

“Nothing good happens when two men are left alone in a giant phallus”                      – Robert Eggers

Erzählerisch rutscht Robert Eggers noch tiefer in längst vergessene Mythen und den ihnen anhaftenden Alb- und Fieberträumen. Von altem Seemannsgarn und Märchen ist in Der Leuchtturm die Rede, doch erscheint es dem guten Winslow und Wake oftmals mehr als real. Absurd surreal und völlig anders als gewohnt geht es auf dem Eiland zu. Der Einstieg erfolgt bereits ungewohnt klaustrophobisch. Die Leinwand ist schwarz, eine graue Nebelschwade zieht auf und offenbart uns langsam ein von der See gezeichnetes Boot, darauf zwei Männer, Schulter an Schulter. Gefilmt in 1,19:1 (19:16), beunruhigend klein und einengend in einem Seitenverhältnis, das Ende der 1930er bis Anfang der 1940er verwendet wurde. Bereits in diesem Punkt spürt man die Detailverliebtheit von Robert Eggers, denn nicht nur das Seitenverhältnis wurde an die damalige Zeit angepasst. Gefilmt wurde auch mit Original-Linsen der 1930er-Jahre auf schwarz-weiß 35-Millimeter-Material. Sobald sich der Vorhang hebt, springt man 100 Jahre zurück in die Vergangenheit. Der Leuchtturm, ab der ersten Sekunde bereits filmgewordener Sirenengesang.

Allein und dem Wahnsinn der Gezeiten überlassen (Willem Dafoe und Robert Pattinson) "Der Leuchtturm" - © Universal Pictures

Ohne Hoffnung auf Rettung

Doch neben den mythischen Sirenengesängen begrüßen uns auch die rauen Stimmen zweier Leuchtturmwärter. Verzerrt durch buschige, in Meerwasser getränkte Bärte klatscht ihnen unermüdlich der Regen ins Gesicht. Wir sind angekommen in einer einzig für den Film erbauten Hütte, die Anschluss an den Leuchtturm hat. Marode, karg und auf engstem Raum sitzen wir nun für vier Wochen mit Winslow (Robert Pattinson) und Wake (Willem Dafoe) fest. Während Wake immer nur die Wache für das Leuchtsignal übernimmt, muss Winslow die Drecksarbeit machen und sich gegen den Regen bewähren. Eine Spannung, die an Intensität immer weiter zunimmt und sich in wenigen Szenen vollends entlädt, um dann wiederum den Kreislauf des Wahnsinns von Neuem beginnen zu lassen. Es nimmt kein Ende, auch nicht, als sich die Beiden vereinzelt bei einer Flasche Schnaps und dem dazugehörigen Saufgelage näherkommen. Der Leuchtturm, das dröhnende Nebelhorn und der sich  daraus ergebene Score üben weiterhin ihren horrorhaften Sog aus und verändern die Männer. Mal unangenehm manisch und selbstzerstörerisch, dann wieder freudig singend. Nicht nur die Charaktere tanzen von Stimmungslage zu Stimmungslage. Auch Egger lässt in seinen Film mehrere Genreansätze einfließen, die gekonnt miteinander harmonieren und uns merkwürdigerweise gänzlich vereinnahmen. 

“How long have we been on this rock? Five weeks? Two Days? Where are we? Help me to recollect.” – Thomas Wake

So verlieren wir als Zuschauer auch das Gefühl für Zeit und Raum. Wir verlieren uns im Leuchtturm und finden keinen Weg hinaus aus seinem surrealen Gothik-Horror. Es ergeht uns ähnlich wie den durch den Sirenengesang verwunschenen Seemännern. Wir treiben zusammen mit Winslow und Wake immer weiter ins Verderben, realisieren was um uns herum geschieht, können aber nicht aufhören, denn Der Leuchtturm ist zu schön um ihn an uns vorbeiziehen zu lassen. 

Porträt einer jungen Frau in Flammen

Einerseits steht Porträt einer jungen Frau in Flammen für die Charakterstudie. Eine künstlerisches Abbild einer jungen Frau, die in der Blütezeit ihres Lebens steht und vom Publikum mit Hilfe der Regisseurin untersucht wird. Ihre Seele oder besser ihr tiefstes Inneres wird dabei auf Leinwand gebannt. Andererseits haben wir eine junge Frau vor uns, die in Flammen steht, von Innen heraus, denn die Liebe hat völlig neue Gefühle in ihr entfacht und zeigt ihr, wie unberechenbar das Leben sein kann – ähnlich einem Feuer. Kommen wir nun zu Porträt einer jungen Frau in Flammen


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