Zwischen Catwalk und Diskriminierung

Die Macher von American Horror Story haben eine Serie über die Homo- und Transsexuellenszene in New York im Jahre 1987 gemacht. Zwischen überschwänglichen Tanzbällen und Glamour bleibt in der Serie Pose auch viel Platz für dramatische Elemente. Ob das gelungen ist, verrät unser Autor Nils Hain.

Wie bewertet man ein Produkt, dass sich explizit mit der LGBTQ-Szene auseinandersetzt, ohne im extrem aufgeladenen Web im Jahre 2019 sofort einen Shitstorm zu kassieren? Diese Frage habe ich mir lange gestellt, weswegen ich vorab nur kurz sagen möchte: ich bin selbst heterosexuell, bin aber weder homophob, transphob, noch habe ich etwas gegen irgendeine Art und Weise sämtlicher sexueller Vorlieben sämtlicher Menschen. All meine Worte beziehen sich ausschließlich auf die Serie Pose.
Ich hoffe, wir können dann anfangen. Okay? Na dann los:

Im Ballroom geht die Party ab

Wenn man krank im Bett liegt sucht man sich heutzutage ja gerne einfach mal eine neue Netflix-Serie raus und zieht sie sich am Stück rein. So bei mir diese Woche geschehen. Zuerst wusste ich überhaupt nicht wirklich worum es bei Pose gehen soll, habe auch erst Mitte der ersten Folge verstanden, dass es tatsächlich Transsexuelle sind die da im Mittelpunkt stehen.

Noch mehr verwundert war ich, als ich bei meiner IMDB-Recherche feststellte, dass sämtliche transsexuellen Figuren auch von transsexuellen Schauspielern verkörpert wurden, was ich als extrem löblich empfinde – auch wenn ich die Leistung von Jared Leto in Dallas Buyers Club bis heute extrem gut finde. Jedoch merkt man den Darstellern ihre Nähe zu ihren Rollen an.

Pose spielt im New York von 1987 und fängt ganz wundervoll sämtliche Hauptfiguren ein und davon gibt es eine ganze Menge: Da wäre zunächst Hauptfigur Blanca, eine transsexuelle Afroamerikanerin die zu Beginn noch unter den Fittichen von Elektra Abundance in einer Familie lebt.

Da Ende der 80er leider so ziemlich jeder der nicht heterosexuell war zum Abschaum der Gesellschaft gehörte, und die meisten auch von ihren Familien verstoßen wurden, haben sich viele Leute ihresgleichen zusammengeschlossen und neue Familien gegründet – inklusive neuer Mutter. Elektra hat diese Position für ihr Haus eingenommen und ist eine extrem extrovertierte, strenge Frau, deren Lebenssinn darin besteht, sämtliche Preise bei Modeschauen im Ballroom zu gewinnen.

Blanca ist unzufrieden mit ihrer Mutter und beschließt nach positivem HIV-Test, ihre eigene Familie zu gründen. Zu ihr gesellen sich ihre Freundin Angel, sowie der gerade von zu hause auf die Straße geworfene Damon Richards, dessen konservative Eltern sein homosexuelles Verhalten stets mit Prügel unterbunden haben. Er bekommt Hilfe von seiner neuen Mutter Blanca, um seine Karriere als Tänzer ins Rollen zu bekommen. Das führt teilweise zu herzzerreißend schönen Momenten in den ca. 50-minütigen acht Folgen.

Blanca wird wunderbar von Mj Rodriguez verkörpert© Netflix

 

Normal ist nicht gleich normal

Aber die Serie spielt sich nicht nur im Ballroom und den LGBTQ-Wohngemeinschaft wieder. Ein sehr interessanter Erzählstrang behandelt auch den vermeintlichen Vorzeige-Ehemann Stan Bowers, der perfekt von Evan Peters in Szene gesetzt wird. Verheiratet, zwei Kinder und ironischerweise aufstrebender Mitarbeiter in einer Firma von Donald Trump, versucht er alle glücklich zu machen, scheitert aber an seinen eigenen, viel zu hoch gesteckten Anforderungen. Trost findet er später bei Angel, mit der er heimlich seine Vorliebe für Transsexuelle auslebt.

Viel mehr darf ich eigentlich zur Handlung nicht verraten. Es sei nur so viel gesagt: Das Anschauen lohnt sich! Ich als Kind vom Lande, der so gut wie noch nie mit Transsexuellen in Kontakt gekommen ist, habe einen wahnsinnig spannenden Eindruck davon bekommen, wie furchtbar das Leben in dieser Szene in den 80ern – und teilweise leider bestimmt auch heute noch – gewesen sein muss. Es gibt nicht nur die ständige Angst unter den Protagonisten vor einer HIV-Infizierung umher, die wie ein Damokles-Schwert über allen zu schweben scheint, auch die Anerkennung außerhalb, als auch innerhalb des Ballrooms stellt alle vor große Probleme. Achja, eins noch vorweg: es gibt die wohl schönste Tanzszene zu Whitney Houstons I wanna dance with somebody! Allein dafür lohnen sich die ersten 2 Folgen bereits.

Es ist toll und traurig zugleich dabei zu zusehen, wie sich diese Menschen gegenseitig unterstützen aber auch Fehden unter den verschiedenen Familien austragen. Die ganz große Stärke von Pose sind definitiv die Geschichten der Einzelfiguren, von denen ich sehr gerne mehr sehen würde.

Stan trifft sich heimlich mit der transsexuellen Angel. © Netflix

 

Typische Serienschwächen

Leider ist Pose aber auch keine perfekte Serie. Zunächst waren es mir persönlich ein paar zu viele Catwalk-Szenen, in denen sich die verschiedenen Familien in Kategorien – ähnlich wie bei Shopping Queen -mit besonderen Outfits battlen.

Auch wenn mir zum Ende der Serie etwas klarer geworden ist, warum das für die Figuren so wichtig ist, hätten es derer ruhig ein paar weniger sein und dafür gerne noch mehr die Geschichten der Protagonisten voran getragen werden dürfen.

Desweiteren ärgert es mich einfach, dass die erste Staffel von Pose gefühlt mitten in der Handlung stoppt. Man merkt dass die Serie auf mehrere Staffeln ausgelegt zu sein scheint, was mich persönlich immer ärgert. Wenn zumindest ein paar der Handlungsstränge – von denen jeder für sich wirklich spannend ist – zu Ende erzählt geworden wären, hätte ich etwas befreiter an die zweite Staffel herangehen können, die sich glücklicherweise bereits in Produktion befindet.

Wenn diese raus kommen wird, werde ich aber wohl oder übel Staffel 1 noch einmal im Schnelldurchlauf schauen müssen, um wieder sämtliche Figuren auf dem Schirm zu haben.

So hübsch wie Angel auf diesem Bild, sieht es in ihrem Seelenleben leider nicht aus. © Netflix

 

Abschließend kann ich euch Pose wirklich nur wärmstens ans Herz legen. Wer Lust auf Dramaserien abseits des Mainstreams hat wird hier gut unterhalten und lernt auch viel über eine leider immer noch nicht richtig in unserer Gesellschaft angekommenen Szene. Man muss sich allerdings damit abfinden, dass die Geschichte nicht ganz zu Ende erzählt wird und als Außenstehender das Setting zumindest gewöhnungsbedürftig ist.

Pose ist seit dem 31. Januar 2019 auf Netflix zu sehen

Pose

Produktionsland: USA
Folgenanzahl: 8 (zwischen 45 und 78 Minuten)
Verfügbar über: Netflix


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Archiv

Archive

Filme der Woche – 1917

JUDY

KNIVES OUT