Reist euch doch ein Bein aus!
Achtung, Achtung! Triggerwarnung! Wenn ihr auf “Filme” wie Weit. oder Reiss aus! steht, solltet ihr diesen Text eventuell nicht lesen. Falls ihr, wie ich, solchen Filmen nicht unbedingt etwas abgewinnen könnt: Schließt euch mir auf eine Reise der Belanglosigkeiten an!
Sonntag Nachmittag, die beste Zeit um mal ein bisschen auf der Couch rum zu gammeln und ein bisschen Fernsehen zu schauen. Sind wir doch mal ehrlich: Was gibt es denn eigentlich Besseres, als ein schönes Nickerchen nach dem Mittagessen an einem freien Tag?
Und eins darf da nicht fehlen: die entsprechende Beschallung aus unserer Flimmerkiste. Ideal dafür eignet sich zum einen die Formel 1 wo außer Start und Finish wahrlich nichts Spannendes passiert, die Motorengeräusche auf niedriger Lautstärke aber ein ideales Eindös-Ritual garantieren. Oder aber man schaut sich eine schöne Naturdokumentation an. Irgendwelche Affen im Urwald oder Pinguine die wochenlang einfach im Schneesturm stehen. Herrlich!
Wenn man ein bisschen mehr von Dokumentationen hält, gibt es durchaus patente Kinovertreter, die den Durst nach nie gesehener Natur in Zelluloidform befriedigen können: Planet Erde 1+2, Die Reise der Pinguine, aber auch diverse Disneynature-Filme zaubern wunderschöne Bilder aller Herren Länder auf die große Leinwand und das in aufwändig produzierten Werken, die in jedem Fall ihre Daseinsberechtigung haben.
In den letzten Jahren hat sich aber ein widerwärtiger Trend breit gemacht: der Reisebericht-Film. Auf offiziellen Kanälen werden diese Filme als Dokumentarfilme gekennzeichnet, mir persönlich ist der Titel für diese Machwerke aber zu schade, da es sich schlicht nicht um klassische Dokumentarfilme handelt, sondern der ganze Spaß eher in die Richtung Scripted Reality abdriftet – im Omnibus halt und auf ‘nem anderen Kontinenten.
Vor Kurzem wollte ich mich mal wieder auf den Internetseiten meiner Lieblingskinos nach den Starts umschauen, da sind mir sofort wieder zwei neue “Filme” dieser Gattung aufgefallen.
Nachdem Felix Starck mit Expedition Happiness schon ordentlich Kapital aus seiner “Reise der Selbstfindung” geschlagen hat, kam mit WEIT. Die Geschichte von einem Weg um die Welt von Patrick Allgaier nicht nur ein Film mit dämlich sperrigem Titel, sondern die nächste Fremdscham-Bombe in die deutschen Kinos.
Neuerdings versucht man also mit Reiss aus – Zwei Menschen. Zwei Jahre. Ein Traum oder anderen Werken die irgendeinen überschwänglichen Filmtitel haben der immer irgendwas von Träumen, Selbstfindung oder anderen krassen, einschneiden Erlebnissen vorgaukelt, jungen Leuten die eventuell selbst eine Weltreise planen, die Kohle aus der Tasche zu ziehen.
Versteht mich nicht falsch: Ich gönne jedem Menschen, dass er etwas von der Welt sieht und das soll jeder so gestalten wie er möchte. Wenn man der Meinung ist diese spirituelle Reise mit einer Schrottkarre Richtung Wüste zu machen, nur um dann festzustellen dass die 10-Zoll-Reifen gar nicht durch den Sand kommen ist das ja auch eine gewisse Erfahrung die man auf so einer Reise machen kann, auch wenn wahrscheinlich jeder halbwegs intelligente Mensch das Szenario so hätte vorhersagen können.
Was mich stört ist die Selbstglorifizierung die durch diese “Filme” stattfindet. Man darf wohl zumindest die Moral hinterfragen, warum man bei seiner “ganz eigenen Reise der Selbstfindung” (wobei ich tatsächlich nicht glaube dass jemand von einer solchen Reise zurück kommt und dann die Idee hat, jetzt Finanzbeamter werden zu wollen) ständig die Kamera draufhalten muss. Sogar wenn man unterwegs ein Kind zur Welt bringt und den Säugling dann mit sich rumschleppt muss alles gefilmt werden. Klar, bringt halt Kohle wenn man mit solchen Schicksalsschlägen wirbt.
Das Kino ist ein Platz für kreative Machwerke. Ob die nun großangelegt finanziert wurden oder es sich um kleine Independent-Filme handelt ist da erst einmal egal. Die Slots sollten aber nicht von irgendwelchen Leuten belegt werden, denen nichts besseres einfällt als sich ihre nächste Reise von der breiten Masse finanzieren zu lassen.
Dabei passt dieses Phänomen leider ziemlich gut in die aktuelle Medienlandschaft. Kreativer Stoff ist weniger gefragt als Leuten bei irgendwas zuzuschauen: Leuten dabei zugucken wie sie zocken, Leuten dabei zugucken wie sie sich schminken, Leuten dabei zugucken wie sie spazieren gehen. Ja, unsere Gesellschaft ist was Medien angeht leider ziemlich anspruchslos geworden. Entsprechend sind Reisebericht-Filme auch immer ausverkauft. Ich frage mich nur, warum?
Ganz ehrlich Leute, wenn ihr eine Weltreise machen wollt, packt eure Sachen und legt los. Es gibt kein Patentmittel für Selbstfindung auf einer Reise. Die Menschen die solche Filme in die Kinos bringen wollen schlicht aus ihrer Reise das Maximum an Kohle rausholen und das mit möglichst wenig Arbeit.
Hinzu kommt, dass den Leuten am Ende komplett Wurscht ist ob ihr euch für ihre Reise interessiert oder nicht. Wichtig ist, ein fancy Bild abzuliefern, wie toll man doch ist und… achja, kauft doch bitte noch unser Buch und unsere Musik-CD passend zum Film um uns zu unterstützen, damit wir euch in 3 Jahren den nächsten Schrottfilm andrehen können!
Zumal haufenweise solcher Reiseberichte in Blogform auf sozialen Kanälen im Internet zu finden sind. Für ganz umsonst, allerdings lässt sich damit natürlich nicht so viel abkassieren als wenn man 15€ Eintritt für ein Ticket im Kino nimmt.
Der Unterhaltungswert dieser Filme liegt dann entsprechend auch irgendwo zwischen Bibi’s Beauty Palace und Germany’s Next Topmodel. Die eigentliche Intention – einen Dokumentarfilm zu drehen – wird ersetzt durch das Glorifizieren der eigenen Person, wie toll man doch ist und was für ein freier Mensch man ist.
Ekelhaft! Bleibt bitte raus aus dem Kino und macht eure Reisen auf eigene Kosten!
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