The King – Krieg mit Stil
Netflix steuert mit The King auf die Oscarsaison zu. Zwar werden die großen Kategorien nicht realistisch sein, bei den technischen hat das düstere Historiendrama aber die ein oder andere Chance.
The King handelt vom jungen König Heinrich V (Timothée Chalamet), der eigentlich gar nicht den Thron besteigen möchte. Sein Verhältnis zu seinem Vater, Heinrich IV (Ben Mendelsohn), ist stark belastet und deshalb ist es keine Überraschung als dieser ihm kurz vor seinem Tod mitteilt, dass er als ältester Sohn in der Thronfolge ignoriert wird und stattdessen sein jüngerer Bruder, Thomas (Dean-Charles Chapman) zum König gekrönt werden soll. Im Gegensatz zu Heinrich ist Thomas allerdings sehr naiv und verstirbt bei einer Schlacht noch vor seinem Vater.
Dieser bittet seinen ältesten Sohn letztlich doch darum, die Krone zu übernehmen. Und so besteigt mit Heinrich V. ein junger Mann den Thron, der in seiner Politik sichtlich um Frieden bemüht ist, aber im Zweifel auch in den Krieg ziehen wird. Genau das passiert, als er zahlreiche Provokationen des französischen Königs erhält. Er macht sich mit seiner Truppe nach Frankreich auf, um den Sohn des französischen Königs, Dauphin Louis (Robert Pattinson) zu besiegen und die französische Krone zu erlangen. Dabei wird er vom ehemaligen Soldaten Falstaff (Joel Edgerton) beraten.
Beeindruckende Bilder
Über die gesamte Filmlänge von 140 Minuten wird erkennbar: Dieser Film hat Stil. Dieser Film hat eine Optik, wie sie selten zu sehen ist. Von der ersten bis zur letzten Szene wird diese durchgezogen. Regisseur David Michôd tränkt den Film in einen düsteren Look, es herrscht fast immer eine angespannte Stimmung. Nicht zuletzt dank Timothée Chalamet, der die ganze Zeit eine negative Grundhaltung gegenüber dem Krieg und seiner Aufgabe als englischer König besitzt. Einzelne Kämpfe werden zu großen Teilen in vollständigen Kamerafahrten gezeigt. Es gibt kein nerviges Geschneide wie in anderen Actionfilmen, wo der Zuschauer am Ende nicht mehr zwischen oben und unten unterscheiden kann.
Wenn Special Effects eingesetzt werden, zum Beispiel bei brennenden Katapulten, werden diese so dezent gehalten, dass es fast schon verzaubernd schön wirkt, wie bei einem Feuerwerk. Weniger ist hier ganz klar mehr. Es würde bei weitem nicht überraschen, wenn The King eine Nominierung für die beste Kamera, die besten Kostüme oder den besten Score bekommen würde, auch wenn dieser ein wenig abgekupfert wurde, dazu später mehr.
Die Entwicklung von Heinrich V ist auch an seiner Frisur erkennbar. Während er sich zu Lebzeiten seines Vaters mit Frauen vergnügt und lange, lockige Haare trägt, merkt man ihm deutlich mehr Lebensfreude an. Es ist auch Timothée Chalamet, wie man ihn aus der Wirklichkeit kennt. Sobald er zum König gekürt wurde, müssen die Haare ab und ein militärischer Undercut ziert seine neue Frisur. Heinrich V wirkt reifer, wirkt entschlossener.
Parallelen zu Game of Thrones
Ein junger König, der keiner sein möchte. Ein Score von Nicholas Britell, der stark an Lord of Light von Ramin Djawadi erinnert. Die Filmplakate, wie Heinrich V. auf dem Thron angespannt nach unten schaut. Die finale Schlacht um Azincourt, mit einer so auffälligen Kameraeinstellung. Und überhaupt, das Mittelalter: Es gibt hier sehr viele Parallelen zur HBO-Serie Game of Thrones, dass dies kein Zufall mehr sein kann. Speziell die Schlacht um Azincourt erinnert sehr an den Battle of Bastards aus Season 6, dass sogar am Ende die famose Kameraeinstellung geklaut wurde, in der Jon Snow (bzw. Heinrich V.) von lauter Soldaten im Kriegsfeld fast erdrückt wird und in den Himmel schaut. Es ist kein Zufall, wie die Geschichte zeigt. George RR Martin, der Autor um die Saga vom Lied um Eis und Feuer, hat sich bekanntlich für die Geschichte stark an die Rosenkriege zwischen den Häusern Lancaster und York im 15. Jahrhundert inspirieren lassen. Heinrichs Sohn, Heinrich VI, war wie sein Vater und Großvater ein König aus dem Hause Lancaster. Als Heinrich VI im Sterben lag, brach der Rosenkrieg zwischen den beiden Häusern aus.
The King hat bei all seiner tollen Optik und dem Schauspielerischen Talent um Chalamet und Pattinson leider ein paar kleinere negative Aspekte. Zuerst wäre die Laufzeit zu nennen. 140 Minuten könnten durchaus brauchbar sein für diese Geschichte, allerdings wurde die Zeit an manchen Stellen falsch investiert: Weniger Dialoge, dafür umso mehr Kampfchoreografien, mehr Bilder hätte es gebraucht. Das hätte aus einem guten einen hervorragenden Film gemacht. Denn diese Netflix-Eigenproduktion lebt davon. Wer dennoch einen Blick ins frühe 15. Jahrhundert Englands riskieren und sich von dem düsteren Setting und dem sehr guten Score leiten lassen möchte: Nur zu, es gibt nichts zu verlieren. Außer die Schlacht um Azincourt.
Von Jaris Lanzendörfer
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