The Farewell – Wenn Abschied zur Lüge wird

Billi Wang (Awkwafina) ist vor Jahren mit ihren Eltern nach Amerika gekommen und lebt mittlerweile als erfolglose Schriftstellerin in New York. Eines Tages erfährt sie von ihren Eltern, dass ihre geliebte Großmutter Nai Nai (Zhao Shuzhen), die immer noch in China lebt, todkrank ist. Die Ärzte sagen, dass ihr nur noch wenige Monate bleiben. Die ganze Familie weiß um ihren Zustand, lediglich Nai Nai denkt, dass alles noch vollkommen in Ordnung sei. Kurzerhand stellt der Rest der Familie eine Hochzeit auf die Beine um alle Verwandten ein letztes Mal zusammen zu bringen und Nai Nai einige schöne Tage zu bereiten. Einzig Billie kann die vermeintliche Lüge nicht ganz an sich vorbeiziehen lassen und so wird sie immer weiter zwischen westliche und östliche Wertevorstellungen hineingedrängt…

Die Familie kommt zusammen, besonders Billy und Nai Nai - "The Farewell" © DCM

“Basierend auf einer wahren Lüge” 

Das sind die ersten Worte, die wir vernehmen, denn ja The Farewell basiert auf einer wahren Geschichte, der von Regisseurin Lulu Wang. What You Don’t Know ist ihr Titel und sie wurde erstmals im Podcast The American Life im Jahre 2016 veröffentlicht. Passenderweise lautet der Untertitel “ein aufwändiger Versuch jemanden im Unwissen zu lassen” und während wir uns The Farewell gemütlich aus unserem Kinosessel aus betrachten, spürt man dennoch am eigenen Leib, wie schwierig dieses Unterfangen gewesen sein muss. Nicht nur körperlich, sondern vor allen Dingen auch seelisch, musste eine gesamte Familie schließlich eine unvorstellbar schwere Last tragen um den falschen Schein zu wahren. 

So kommt es, dass nicht nur Billie unerwartet in eine ihr völlig fremde Welt geworfen wird, auch wir müssen uns erstmal im uns so fremden China zurechtfinden. Ein simpler Culture-Clash Film könnte man meinen, doch The Farewell erreicht wesentlich mehr und das auf ausgesprochen geschicktere Art und Weise. 

 

Nai Nai versucht Billie beizubringen ihren Energiefluss zu bündeln - "The Farewell" © DCM

Dekonstruktion der Komödie durch Tragik

Billie Wang lebt als erfolglose Schriftstellerin in New York und muss ständig um die nächste Miete und die Unterstützung ihrer Eltern bangen. Plötzlich erfährt sie, dass ihre Großmutter todkrank ist und als ihre Mutter sie dann mit den Worten abschmettert, dass Menschen nunmal krank werden und daraufhin sterben, macht sie sich auf den Weg um für Nai Nai und in gewisser Weise auch ihre Familie da zu sein. Ein merkwürdiges Gefühl von Zusammengehörigkeit und Verbundenheit kommt auf. Merkwürdig vor allem, da wir als aussenstehender alles durch eine leicht humoristische Brille betrachten. Die Dialoge sind gewitzt, spielen mit unseren Erwartungen, aber vor allem mit dem Wissen, das wir Nai Nai voraus haben. Wenn dann noch solche Aussagen wie die der Mutter über den Tod wie ein Faustschlag in der Magengrube landen, dann ist die Tragikomödie perfekt.

Das erste Aufeinandertreffen mit Großmutter Nai Nai verläuft für Billie und uns nicht allzu elegant. Wie zu erwarten steht sie wie angewurzelt im Esszimmer und starrt ihre Großmutter mit großen, fast tränenden Augen an. Der Rest der Familie, der sich um den großen Tisch versammelt hat, bangt spürbar um Billie und vor allem die Lüge, die sie ihrer Familienältesten aufgetischt haben. Doch nicht nur die Familie bangt, wir bangen auch. Wir sitzen schließlich auch an diesem Tisch und wissen nicht was wir machen sollen und sind ähnlich wie Billie hin und hergerissen zwischen zwei Welten, West und Ost, der gesamten Familie und ihrer Großmutter. 

Hierin liegt auch die große Stärke von The Farewell, denn man fühlt sich als Zuschauer stets als Teil dieser Familie. Wir lernen die einzelnen Familienmitglieder recht schnell kennen und verstehen mit Verlauf des Films auch ihre Beweggründe und verstehen viel mehr durch sie die Werte der chinesischen Kultur und warum diese zuerst unverständliche Lüge überhaupt inszeniert werden muss. Eine Glanzleistung des Culture-Clash ist Lulu Wang gelungen, denn statt einer stumpfen Komödie mit Scheuklappen, weitet sich unser Blick und man hinterfragt die eigenen Wertvorstellungen womöglich  noch Tage nach der Vorführung. 

Billie allein in den Straßen von New York - "The Farewell" © DCM

Vieles hätte schiefgehen können, doch Lulu Wang weiß ihre Charaktere gekonnt, wenn auch zum Teil sparsam, einzusetzen. Gerade Großmutter Nai Nai wird mit so viel Herzensliebe von  Zhao Shuzhen gespielt, dass man sie innerhalb weniger Minuten bereits als eigenes Großmütterchen herbeisehnt. Ebenso grandios, Billie Wang, gespielt von Awkwafina, die ihren Durchbruch als Nebencharakter in Crazy Rich Asiens feiern durfte und jetzt direkt den schwierigen Sprung in ein Drama geschafft hat. Ihre leicht gebeugte Körperhaltung, die eingefallenen Schultern, eine gewisse Lustlosigkeit, die durch Komik wieder durchbrochen wird. All dies formt ihren Charakter und macht ihn so unglaublich lebendig und greifbar. Sieht man dann noch die innere Zerrissenheit in ihren Augen, kann man es nicht mehr leugnen und muss Awkwafina  zur ihrer Leistung beglückwünschen. 

The Farewell weiß mit einer wilden Farbpalette an Emotionen umzugehen und wischt uns ein ums andere Mal einen traurigen und einen fröhlichen Pinselstrich durchs Gesicht und verliert dennoch nicht das Wichtigste aus den Augen – Großmutter Nai Nai und ihre Geschichte. 

Bong Joon-Ho – ein Regisseur, dessen Filme geprägt sind von facettenreichen Charakterstudien und geschickt verschleierter Gesellschaftskritik. Mit Parasite trifft Bong Joon-Ho wieder einmal den Zeitgeist und wird mehr als verdient als erster südkoreanischer Film mit der Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnet.


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