Stalking für Profis
You could do it!
Es passiert mir heutzutage ja leider eher selten, dass mich eine neue Serie so richtig vom Hocker reißt. Zugegeben, das liegt auch an mir selbst. Viel zu groß ist mittlerweile die Versuchung während des Schauens noch zusätzlich das Handy auszupacken und mal eben schnell die neuesten Tweets nachzulesen. Daher bevorzuge ich grundsätzlich immer das Kino.
Zwischen You und mir fing aber tatsächlich alles sehr positiv an. Ich liege am Ende des zweiten Weihnachtsfeiertags völlig übersättigt auf dem Sofa und habe überhaupt keine Lust mehr etwas Neues zu schauen, da kommt meine Freundin um die Ecke und fragt, ob wir uns nicht diese neue Serie mit dem Schauspieler von Gossip Girl anschauen wollen und – ach ja – die eine aus Pretty Little Liars spielt ja auch noch mit.
Entsprechend war mir die Serie erst mal egal, da ich einfach kein Interesse an Dramen mit reichen Teenies habe – das Setting solcher Serien spricht mich leider in keinster Weise an.
Da ich mich sowieso lieber meiner anderen Passion – dem Zocken – widmen wollte, erklärte ich den Fernseher für freigegeben.
And You did!
…und 15 Minuten später lag die Switch ausgeschaltet auf dem Wohnzimmertisch und ich starrte gebannt auf den Fernsehbildschirm. Was für ein Opening! Anstatt wie die meisten Serien heutzutage sofort mit Effekthascherei zu kommen wo irgendjemand geköpft, gefoltert oder vergewaltigt wird, beginnt You extrem ruhig und zeigt zunächst in märchenhaften Farben wie Antagonist Joe träumerisch der schönen Beck hinterher schmachtet.
Das funktioniert ganz wunderbar mit Gedankentexten aus dem Off, die in der Serie ein extrem wichtiges Stilmittel sind und für die teilweise unglaublich dichte Atmosphäre sorgen, hier will ich aber aus Spoilergründen nicht zu sehr drauf eingehen.
Positiv hervorheben muss man auch das Schauspiel von Penn Bedgley (Joe), der sicherlich keinen leichten Job hatte. Er muss den völlig irren Psychopathen von nebenan spielen, der sich seines Wahnsinns allerdings recht bewusst ist und sich daher ständig verstellt.
Dies tut er, um Beck für sich zu gewinnen. In den ersten beiden Folgen sehen wir, wie beide sich kennenlernen und was für ein Leben sie führen. Joe arbeitet in einem etwas abgehobenem Buchladen, wo sich auch Antiquitäten in einem „lebenserhaltenden“ Glaskäfig befinden – Kenner des Horror-Genres können sich schon denken, dass dieser nicht nur für die sich darin befindenden Bücher verwendet wird.
Beck auf der anderen Seite ist das Mauerblümchen mit Vaterkomplex par excellence. Als angehende Schriftstellerin kommt sie gerade so über die Runden und versucht den großen Durchbruch zu schaffen, was ihr bis dato nicht gelingt. Und nach dem ersten Aufeinandertreffen der Hauptfiguren beginnt es wirklich gruselig zu werden.
Joe will Beck nicht nur für die Liebe gewinnen, er ist schlicht von ihr besessen und will sie „besser“ machen. Dabei stehen ihr natürlich einige Personen im Weg. Da gibt es beispielsweise einen zur Gewalt neigenden Freund, der aber außer Sex mit Beck nicht wirklich etwas im Sinn hat. Oder auch die stinkreiche Freundin Peach, die Beck mit ihren Beziehungen und Geld auf ihre Seite bringen will.
Schnell merkt man, dass You eine Serie ist, in der so ziemlich jeder Charakter Dreck am Stecken hat und irgendwo ein dunkles Kapitel in sich trägt. Das ist eindeutig die Stärke der Serie.
But You also didn’t
Sind wir ganz ehrlich: Joe ist kein Hannibal Lecter, kein Norman Bates und auch kein Jigsaw. Das ist grundsätzlich auch gut so, er soll ja ein „normaler“ Typ sein und das macht ihn stellenweise auch beängstigend. Der Gedanke daran, dass es solche Menschen wirklich gibt ist ebenso beängstigend wie auch realistisch.
You schafft es jedoch leider nicht, den Spagat zwischen beiden Welten so gut wie in den ersten beiden Folgen über die gesamte Staffel zu ziehen. Joe trifft manchmal schwer nachzuvollziehende Entscheidungen und viel zu oft ergeben sich Durststrecken in denen die stinkreiche Clique von Beck gefühlt stundenlang über ihre Instagram-Profile oder Tinder-Liebschaften sprechen. Ja, es hat auch etwas mit Zeitgeist zu tun, dass man sich über Social Media in den Vordergrund spielen muss und gerade jungen Frauen in einer Metropole das alles sehr wichtig ist. Gerade Tinder wird hier aber so dermaßen häufig erwähnt, dass wohl selbst der unbefangenste Zuschauer gemerkt hat, dass hier ordentlich Kohle an Netflix für Product Placement geflossen ist.
Zum Glück schafft die Serie es aber in den letzten 3 Folgen noch einmal ordentlich aufzudrehen und es entsteht Twist um Twist, was in einem großartigen Finale, leider aber auch in meinen letzten Kritikpunkt mündet:
You gelingt leider kein zufriedenstellender Abschluss der ersten Staffel, da zum Ende ein dermaßen aufgesetzter Cliffhanger eingebaut wird, dass es fast schon wehtut. Aber nun gut, angeblich war die Serie von Anfang an auf 3 Staffeln ausgelegt, so wird man sich also noch etwas länger mit den Figuren auseinandersetzen können, ob ich das machen werde, lasse ich noch offen.
You are not alone!
Zu guter Letzt möchte ich noch etwas sehr Positives hervorheben: neben den nervigen „die Trennung von James Franco war vielleicht nicht so gut für meine Publicity“-Sprüchen gibt es noch einen extrem guten Nebenplot, der fast interessanter als die Hauptgeschichte ist, wirft er doch ein völlig anderes Licht auf Joe.
Direkt neben Joes Wohnung lebt Claudia, eine drogenabhängige Frau die regelmäßig von ihrem Lebensgefährten Ron verprügelt wird. Claudia hat zudem einen kleinen Sohn namens Paco, dem sich Joe annimmt und ihm mit Büchern eine Ablenkung von dem schrecklichen Alltag schenkt.
Diese Storyline endet fulminant und macht das Finale noch besser!
Als Fazit kann ich getrost sagen, dass You eine Serie ist die sich durchaus lohnt anzuschauen. Sie hat zwar hier und da einige erzählerische Schwächen und die Influencer-Girls sind garantiert nicht jedermanns Sache. Trotzdem hatte ich meinen Spaß auch wenn der Cliffhanger nach dem Finale leider ein ziemliches Geschmäckle hat. V
You - Du wirst mich lieben
Produktionsland: USA
Folgenanzahl: 10 (jeweils 42 bis 49 Minuten)
Verfügbar über: Netflix
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