Petting statt Pershing – Promiskuität im Provinznest
1983 im hessischen Hinterland. Das kleinbürgerliche Leben der 17-jährigen Ursula wird durch die aufrührerischen Ideen eines linksalternativen Lehrers auf den Kopf gestellt. Ob der neue Film Petting statt Pershing von Petra Lüschow für sein Publikum genauso revolutionär ist wie für die Protagonistin, erfahrt ihr hier.
Petting statt Pershing lässt sich vor allem als eine Erzählung von Kontrasten begreifen. Die militärische Pershing-Rakete als Kontrast zum Petting, Liebe statt Krieg. Da ist der Lehrer Siegfried Grimm (Florian Stetter), der die Ideen der 68er-Bewegung mit seiner naturverbunden Enklave in die kleinbürgerliche Provinz bringt. Außerdem lebt er in einem Bauernhof, beteiligt sich an Demonstrationen und Protesten und propagiert Ideen von Polyamorie und weiblicher sexueller Selbstbestimmung. Im Gegensatz dazu steht ein von einer weiteren Kohl-Amtszeit geprägtes Spießbürgertum.
Dann haben wir die naive, aber intelligente Protagonistin Ursula (Anna Hornstein), die von ihren Eltern auf die Hauswirtschaftsschule geschickt werden soll, um als gute Hausfrau ausgebildet zu werden, aber eigentlich viel lieber Camus und Sartre liest und irgendwann aus dem Dorfleben ausbrechen will. Und zuletzt lassen sich auch in der Darstellung zahlreiche Kontraste wahrnehmen. Am prägnantesten ist hier wohl die Szene, in der Ursula in einer Kirche mit einem Staubwedel langsam eine Jesus-Figur streichelt, am angedeuteten Gemächt dieser stoppt, und ihr frech in die Augen blickt.
Selbst das TV-Programm der Familie der Protagonistin steht als Gegensatz zu dem des charmanten Lehrers. Auf der einen Seite steht die Spielshow Donnerlippchen und Aktenzeichen XY, die von Ursulas Mutter meist beiläufig bügelnd und rauchend konsumiert werden und dieser vor allem ein Sicherheitsgefühl vermitteln. Im Kontrast dazu zeigt Grimm Ursula enthusiastisch und motiviert Dokus und Aufnahmen von politischen Protesten, während er stolz persönliche Erfahrungen mit der neugierigen Schülerin teilt.
Das Fundament bröckelt
Liebe macht blind. Das muss auch Ursula bald feststellen. Die einsame Jugendliche, die sich schnell in Grimm verliebt hat, beginnt im Laufe des Filmes mehr und mehr hinter die Fassade des Frauenhelds zu blicken. Wohl auch, weil der Casanova dummerweise ausgerechnet mit ihr nicht intim werden will und die orientierungslose 17-Jährige schlussendlich durch eine Affäre mit ihrer Mutter wenig charmant vor den Kopf stößt.
Filmisch bröckelt das Fundament leider schon früher. So gut die kleinbürgerliche 80er-Atmosphäre gelingt, so wenig mutig im Vergleich zu den Aussagen des Films ist der Rest. Auch Petting statt Pershing schafft esleider nicht aus dem meist biederen und zurückhaltenden Deutschfilm-Korsett auszubrechen. Gegenläufige Versuche sind zwar durchaus erkennbar und es gibt auch eine durchaus gefällige Schwarz-Weiß-Traumszene, in der Ursula Yoko Ono und Grimm John Lennon verkörpert, aber ansonsten kämpft der Film mit den typischen Problemen seiner Zunft. Da werden Figuren und deren Verhältnis wenig galant per diegetischen Voice-Over oder wenig einfallsreicher Zeitlupe eingeführt. Zuletzt soll dann auch auch nochmal die vierte Wand durchbrochen werden, um das Publikum relativ plump mit einzubinden.
Oft gesehen
Auch der Humor funktioniert nicht. Den verschrobenen Opa, der gedanklich noch im Krieg feststeckt und mit Sicherheit als Seitenhieb auf die oberflächliche Vergangenheitsbewältigung zu verstehen ist – ja, den hat man leider schon in unzähligen deutschen und auch Hollywood-Produktionen gesehen. Die für den deutschen Film typisch auf Hochglanz polierten Drehbuch-Dialoge, die nur selten Authentizität vermitteln, werden hier mit Ausnahme der Protagonistin ebenso zum Problem.
Schade, denn die Ansätze wirkten durchaus gefällig und durchdacht, aber all die Probleme, die der deutsche Film in meinen Augen hat, präsentiert auch Petting statt Pershing: Platter und durchschaubarer Humor, die fortwährende Einbindung von Handlungen in einen historischen oder politischen Kontext, unnatürliche Dialoge und letztlich das fehlende Fingerspitzengefühl beim Einsatz von filmischen Stilmitteln. Doppelt schade, denn zumindest die Figuren sind allesamt gut besetzt, sehr ordentlich gespielt und das Provinz-Setting wird außerdem schön umgesetzt. Unterm Strich kann hier allerdings keine Empfehlung ausgesprochen werden.
Von Bernd Wetzl
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