The Chaser – Jagd mit Hindernissen

Zum Abschluss des Seoultembers darf natürlich ein Vertreter des Genres nicht fehlen, für das Südkorea gewissermaßen steht wie kein anderes Land: dem Rache-Thriller. Mit The Chaser haben wir uns das Erstlingswerk von Na Hong-jin angesehen, der neben The Good, the Bad, the Weird der erfolgreichste Film seines Kinojahres war. Aber kann der Film auch abseits der heimischen Einspielergebnisse mit seinen Genre-Konkurrenten mithalten?

Der Zuhälter und der Killer

Ex-Cop und Zuhälter Joong-ho (Kim Yoon-seok) gerät in finanzielle Not als immer mehr seiner Prostituierten scheinbar spurlos verschwinden, ohne ausstehende Zahlungen zu begleichen. Erst an einen Zufall glaubend, fällt ihm bald eine Gemeinsamkeit auf: Alle verschwundenen Frauen hatten einen identischen letzten Kunden. Ein Kunde, bei dem sich just in diesem Moment eines seiner Mädchen befindet. Nachdem der Anti-Held zuerst Menschenhandel vermutet, muss er nach und nach erkennen, dass er es hier mit dem psychopathischen Serienmörder Ji Young-Min (Ha Jung-woo) zu tun hat…

Klingt – analog zum Titel – nach einem aufregenden Katz-und-Maus-Spiel, das sich über den gesamten Film erstreckt? Mitnichten, denn hier wartet The Chaser mit einer ganz besonderen Prämisse auf. Im Anschluss an den ersten Akt, soviel muss verraten werden, befindet sich der Antagonist bereits in Polizeigewahrsam und legt ein Geständnis ab. Während Joong-ho zuerst noch an einen üblen Scherz des Verhafteten glaubt, sucht zumindest die Polizei im Rahmen ihrer Möglichkeiten sofort nach Opfern und Beweisen.

Kafkaesk kompromisslos

Zu Beginn habe ich The Chaser als Rache-Thriller beschrieben, doch das ist er keinesfalls. Vielmehr ist der Film experimenteller Krimi, bei der Zuschauer nach 30 Minuten über die Umstände der Verbrechen in Kenntnis gesetzt wird und die übrigen Figuren bei der Suche nach der Wahrheit beobachtet. Aufgrund falsch gesetzten Prioritäten, fragwürdigen Ermittlungs-Entscheidungen und einem unglaublich ineffizienten Justizsystem entsteht dabei eine einzigartige Hilflosigkeit beim Publikum.

Nicht nur einmal möchte man aufgrund der Sackgassen, in der die Ermittlungen von Joong-ho und der Polizei laufen, mit dem Kopf schütteln und vor Verzweiflung aufschreien. Fast schon kafkaesk sieht man sich einem starren Konstrukt im Kampf gegen das nihilistische Böse ausgeliefert, dass den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Na Hong-jin schafft es hier wunderbar mit der Erwartungshaltungen und Hoffnungen des Zuschauers zu spielen und eine bemerkenswerte Gefühlskälte zu etablieren. Das Katz-und-Maus-Spiel gibt es also doch – allerdings nicht zwischen Protagonist und Antagonist, sondern zwischen Film und Publikum.

In The Chaser geht es mitunter auch blutig zu © Haut et Court

Gepaart mit einer düsteren, verregneten Darstellung Seouls und einer extrem dichten und spannenden Atmosphäre ist The Chaser ein wirklich einzigartiges Seherlebnis, nach dem sich vor allem eines breitmacht: Frustration.

Leider bezieht sich diese Frustration nicht nur auf die Handlung des Films, sondern auch auf deren Aufbau. Stellenweise agiert der Protagonist, immerhin Ex-Cop, arg blauäugig und es entsteht ein wenig das Gefühl, dass Joong-ho absichtlich naiv und impulsiv agiert, weil das vom Drehbuch gerade so vorhergesehen ist. Ein ehemaliger Polizist würde wohl vielen starken Indizien mehr Bedeutung zuschreiben und beispielsweise Tathergänge rekonstruieren. Die eigentliche gute Charakterisierung wird so doch teilweise getrübt und das Spiel mit der Erwartungshaltung des Zuschauers überspitzt. Zudem hätte man The Chaser hier und da durchaus kürzen können. Das Erzähltempo flacht, auch durch die Frustration beim Publikum über die Qualität der Ermittlungen, mitunter ein wenig ab, womit die Geschichte im Mittelteil an Fahrt verliert, nur um gegen Ende wieder voll in die Eisen zu treten.

Schlussendlich steht hier aber eine ziemlich klare Empfehlung für dieses Regiedebüt, das in seiner knallharten Konsequenz ein sehr außergewöhnliches und düsteres Seherlebnis schafft und einem jeden Funken Spaß aus dem Körper ziert. Ein Film wie ein Montagmorgen.

Von Bernd Wetzl


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