Die Wucht des Bildes

Roma erlaubt uns einen kleinen Einblick in das Leben der jungen Cleo (Yalitza Aparicio), einem jungen Hausmädchen, das bei einer mexikanischen Mittelstandsfamilie angestellt ist. Neben alltäglichen Haushaltsaufgaben kümmert sie sich aufopferungsvoll um die Kinder, stellt ihr eigenes Leben zurück und ist jederzeit für ihre Ersatzfamilie da.

Wir sehen schmutzige Kacheln, Putzwasser wird ausschüttet und es bildet sich langsam eine kleine Wasserlache in der Bildmitte. In der Wasserspiegelung können wir ein Flugzeug erkennen, welches sich langsam durch das Putzwasser gräbt und letztlich mit einem weiterem Schwung Wasser weggespült wird. Der Traum von einem anderen Leben… so vergänglich ist er. Bereits nach der Eröffnungsszene sollte jedem klar sein: Hier erwartet mich etwas Besonderes, Metaphern über das Leben, wo man nur hinsieht. Elegant und alltäglich kommt Roma daher und doch fesselt er mit seiner Bildsprache und der Magie, die er, trotz der Banalität seiner Geschichte, ausnahmslos versprüht.

„Every Frame A Painting“ beschreibt es wohl am besten. Wunderschöne schwarz/weiß-Aufnahmen,die dank der Hi-Tech-Kamera Alexa 65 unfassbar scharf sind und so auch im Heimkino in 4K verfügbar sind, treffen auf atemberaubende Choreografien und Kompositionen,die an Aufwand und Wirkung selbst Children of Men übertreffen. Dabei erzeugt Alfonso Cuarón, durch die Verwendung von Panning Shots (bewegtes Objekt wird scharf, Hintergrund unscharf) ein schon fast dokumentarisches Gefühl. Der 47-Jährige beweist mal wieder seine künstlerische Ader und zeigt sich als Tausendsassa: Er ist nicht nur Regisseur, sondern auch Drehbuchschreiber, Kameramann, Cutter und Produzent für Roma. Der Zuschauer wird zum Beobachter in seiner Reinform und jede Szene wird nicht durch Schnitte oder Kamerafahrten, sondern allein durch die Schauspieler und die Regie Cuaróns getragen und mit Leben gefüllt.

 

 

Yalitza Aparicio spielt ihre Rolle als Kindermädchen Cleo mit voller Hingabe
© Esperanto Filmoj

Die Geschichte von Yalitza Aparicio, die so anmutend und zauberhaft spielt, ist skurril. Die 26-jährige war in Mexiko auf der Suche nach einem Job als Erzieherin. Durch Zufall kam sie zusammen mit ihrer Schwester zum Casting zu Roma – wäre aber fast schon vor dem ersten Vorsprechen geflüchtet. Weil es zudem Filmprojekt bis dato noch keine Informationen gab, witterte Aparicio eine Falle und vermutete Menschenhändler hinter dem Casting. Letztlich blieb sie aber doch, und darf sich heute berechtigte Hoffnungen auf eine Oscar-Nominierung machen.

Wenn es bis jetzt noch nicht deutlich genug sein sollte, schaut euch Roma an, wenn möglich auf der großen Leinwand, denn so paradox es klingt: Netflix hat mit Alfonos Cuarón und Roma ein Meisterwerk geschaffen, der im Kino erlebt werden muss. In Kanada wird der Kinorelease aufgrund des kurzen Kino-Streaming-Fensters boykottiert, doch wäre es ohne Netflix gar nicht möglich gewesen die nötigen Geldmittel für einen schwarz/weiß-Film in mexikanischem O-Ton aufzutreiben. Eine Entwicklung, die zu begrüßen ist und letztlich auch das Autorenkino neu belebt.

Regie: Alfonso Cuarón

Genre: Drama

Crew: Screenplay: Alfonso Cuarón. Camera (color, widescreen): Alfonso Cuarón. Editors: Alfonso Cuarón, Adam Gough

Cast: Yalitza Aparicio, Marina de Tavira, Marco Graf, Fernando Gregiaga, Daniela Demesa, Carlos Peralta, Nancy Garcia, Jorge Antonio Guerrero


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