Ernüchterung am Genfer See

Mary Wollstonecraft Shelley, Autorin eines der bedeutsamsten und angsteinflößenstden Werke der jüngeren Zeit: Frankenstein; or, the Modern Prometheus. Nicht nur die Novelle machte auf sich aufmerksam und schlug undenkbare Welle, sondern auch das Leben der damals 19-Jährigen.  Ein Leben geprägt von Schmerz, Verleumdung, Lügen und Tod.

All das hat es in Haifaa Al-Monsours zweiten Langfilm geschafft und auf irgendeine Weise doch nicht, denn lange hat Gothic-Horror nicht mehr so langweilig gewirkt. Mary Shelley sieht nun mal leider wie jedes Historiendrama aus dem 19. Jahrhundert aus. Von der Ausstattung, über das Setting bis hin zur Stimmung, wird der Zuschauer grundsätzlich nicht überrascht. Schade, denn der Gothic-Horror bietet eigentlich wunderbare Elemente, um eine fesselnde Geschichte zu erzählen.

Man nehme nur Guillermo Del Toros Liebesbrief an das Genre, Crimson Peak, dessen unfassbares Setdesign bereits mehr zu erzählen hat als Mary Shelley in seinen 120 Minuten Laufzeit. Beim Gedanken an Gothic in der Nacht, wird sofort eine gewisse Erwartungshaltung geweckt, die Mary Shelley leider komplett ignoriert – sowohl ästhetisch, als auch atmosphärisch. Da sollte man doch lieber zum exzessiv inszenierten Gothic von Ken Russell aus dem Jahre 1986 greifen.

 

Setting und Kostüme in Mary Shelley stimmen zumindest. © Pyramide Distirbution

Ganz so schlimm, wie es klingt, ist es nun aber dann doch nicht: Zumindest das ansehnliche Historiensetting stimmt, auch die Kostüme und die Dialoge tragen dazu bei. Hauptdarstellerin Elle Fanning kann ihrem großen Namen allerdings keine Ehre machen. Man könnte fast meinen, sie findet einfach nicht in die Rolle der starken und gleichzeitig gebrochenen Mary Shelley hinein. Viele ihrer Szenen wirken vom Schauspiel her, wie billige Abziehbilder des fantastischen The Neon Demon oder wie eine konsequent Weiterführung des furchtbar öden Charakters aus How to Talk to Girls at Parties. Dabei hat die Figur der Mary Wollstonecraft Shelley so viel Tiefe und Tragik zu bieten. Wer kann den schon behaupten auf dem Grab der eigenen Mutter entjungfert und vom Vater verstoßen geworden zu sein, ganz zu schweigen vom Verlust ihres Kindes, was sie in tiefe Depressionen fallen ließ und sie noch lange danach mit schrecklichen Visionen plagte.

Wesentlich interessanter gestalten sich die Nebencharaktere des berühmten Lord Byron, gespielt von Tom Sturridge (Song to Song), sowie Marys jüngere Halbschwester Claire Claimont, gespielt von Bel Powley (The Diary of a Teenage Girl). Nicht nur sind sie überzeugender dargestellt, sondern bieten auch im Vergleich zu Mary und ihrem Mann Percy, gespielt von Douglas Booth (The Riot Club) eine deutlich aufreibendere Beziehung dar.

Der Weg zur berühmten Nacht am Genfer See, in der Frankensteins Monster erschaffen wurde, gestaltet sich – überspitzt ausgedrückt – eher als viel zu teure Folge Unter Uns. Eine viel zu stark im Fokus stehende Liebesbeziehung ohne nennenswerte Dramatik oder Tragik wird dem Zuschauer präsentiert. Echte Spannung kommt nie auf – da lohnt es sich fast mehr, den Wikipedia-Eintrag von Mary Wollstonecraft Shelley durchzulesen.

Regie: Haifaa Al-Mansour

Genre: Biopic, Drama, Geschichte

Crew: Screenplay, Emma Jensen. Camera (color): David Ungaro. Editor: Alex Mackie. Music: Amelia Warner

Cast: Elle Fanning, Douglas Booth, Bel Powley, Tom Sturridge, Stephen Dillane, Maisie Williams, Joanne Froggatt, Ben Hardy


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