Superhelden in Therapie

Mit Glass kommt nach Unbreakable und Split nun der dritte Teil von M. Night Shyamalas sogenannter Eastrail 177-Trilogie in die Kinos. Nach 19 Jahren (wieder) mit dabei: Bruce Willis als ‚Superheld‘ David Dunn und Samuel L. Jackson als Schurke Mr. Glass. Aber kann der Film den hohen Erwartungen standhalten?

Was für eine Sensation war das vor zwei Jahren. Hollywoods Problemkind M. Night Shyamalan brachte nach über 13 Jahren mit Split wieder einen guten Film heraus. Äußerst beachtenswert, so galt er doch nach furchtbaren Machwerken wie Die Legende von Aang, The Happening und allen voran der Scientology-Propaganda-Katastrophe After Earth als kreativer Totalausfall. Welcher Cineast dachte sich zu diesem Zeitpunkt nicht: Was ist nur aus dem Genie hinter The Sixth Sense, Unbreakbale und Signs geworden?

Und dann kam 2016 der Paukenschlag: Im Psycho-Thriller Split ging es im ersten Moment lediglich um einen Mann mit über 20 verschiedenen Persönlichkeiten, der drei Teenager entführte, um sie ‚Der Bestie‘ – seiner neuesten, fast unverwundbaren und übermenschlich starken schizophrenen Kopfgeburt – zu opfern. Der Filme glänzte durch eine durchgehend unheimliche Atmosphäre, einen brillanten James McAvoy in der Hauptrolle und seiner bis dato neuartigen und kreativen Geschichte mit einem äußerst gelungenem Finale. Und dann kam das Ende: Plötzlich tauchte Bruce Willis‘ Charakter David Dunn aus Unbreakable auf!

Split wurde somit zum Sequel von einem von M. Night Shyamalans besten Filmen emporgehoben, der vor über 19 Jahren veröffentlicht wurde. Die Kritiker und vor allem die wenigen Shyalaman-Fans überschlugen sich vor Lobpreisungen. Der Hype war enorm, denn der Meister des Plot-Twists schien wieder da zu sein und zu alter Stärke zurückgefunden zu haben. Und jetzt legt er mit Glass das furiose Finale hin und wäscht seinen Namen endlich rein – oder? Antwort: Ja und nein.

Bruce Willis tritt als David Dunn auf. © Universal Pictures
Comics anders gedacht

Gleich vorweg: Man muss unbedingt Unbreakable und Split gesehen haben, um diesen Film zu verstehen. Denn Glass baut sich hauptsächlich aus diesen beiden zusammen und führt sie konsequent fort. Kennt man sie nicht, wird man nur kopfschüttelnd und mit Fragenzeichen über dem Kopf im Kinosessel umherrutschen. Deswegen gibt es hier leider ein paar Spoiler.

Glass setzt kurze Zeit nach Split ein. Kevin (James McAvoy), dessen Körper nun komplett von seinen mittlerweile zahlreicher gewordenen Persönlichkeiten in seinem Kopf übernommen wurde, ist auf der Flucht vor den Behörden und kidnappt neue Opfer für ‚Die Bestie‘. Doch mittlerweile hat sich auch David Dunn (Bruce Willis), mittlerweile als ‚The Overseer‘ bekannt, an seine Fersen geheftet. Durch einen Zufall gelingt es ihm, die ‚Horde‘ – wie sich Kevins Persönlichkeiten nennen – ausfindig zu machen. Doch nach einem kurzen Schlagabtausch rücken die Polizei und die Psychotherapeutin Dr. Ellie Staple (Sarah Paulson) an, machen sie dingfest und stecken sie in eine psychiatrische Heilanstalt.

In ebendieser sitzt auch der hyperintelligente, aber geisteskranke Massenmörder Elijah Price alias Mr. Glass (Samuel L. Jackson) ein. Der ‚Entdecker‘ von David Dunn und seinen übermenschlichen Kräften ist immer noch fest davon überzeugt, dass Comics alte Geschichten von Menschen mit besonderen Fähigkeiten sind und eine bisher unerkannte Wahrheit in sich tragen. Denn er ist sich sicher, dass es so etwas wie Superhelden und -schurken gibt, und Comics von deren Existenz erzählen. Doch nun sitzt das an der Glasknochenkrankheit leidende Genie des Bösen den ganzen Tag vollkommen regungslos in seinem Rollstuhl – außer Gefecht gesetzt durch starke Medikamente.

Dr. Staple versucht nun, den drei Herren klarzumachen, dass sie keine echten Supermenschen mit besonderen Fähigkeiten sind. All ihre übermenschlichen Leistungen ließen sich wissenschaftlich und logisch erklären, sagt sie. Doch während David und Kevin auf ihre Gerichtsverhandlung warten, ‚erwacht‘ Mr. Glass und heckt einen diabolischen Plan aus, der die Welt für immer verändern wird …

James McAvoy überzeugt wieder einmal schauspielerisch© Universal Pictures

Zwischen Genialität …

Dieser Film scheidet die Geister. Man wird ihn als Zuschauer entweder lieben oder hassen. Das zeigen schon die verschiedenen Pressestimmen aus den USA, aber auch in Europa. So sind sich in Deutschland einige Medien einig: Der Film ist schlecht und vor allem arrogant – kurzum: eine Enttäuschung. Eine Aussage, in der ein Funken Wahrheit steckt. Aber Schwarz-Weiß-Denken ist hier definitiv fehl am Platz.

Glass hat mit Sicherheit seine Licht- und Schattenseiten. Das absolute Highlight des Films ist wie schon in Split James McAvoys Schauspiel. Man bekommt nämlich noch mehr seiner mittlerweile über 30 oder 40 Persönlichkeiten, die in seinem Kopf hausen, zu Gesicht. Vom neunjährigen Jungen Hedwig, bis zur resolutne Patricia und dem zwangsneurotischen Denis, hin zu neuen faszinierenden Charakteren, die gar Spanisch sprechen oder durchaus gebildete Professoren sind. Dabei wechselt er die Figuren teilweise im Sekundentakt, und gibt jeder von ihnen eine eigene Stimme und Gesichtszüge. Das ist absolut beeindruckend und Schauspielkunst vom Feinsten.

Aber auch Bruce Willis und Samuel L. Jackson überzeugen in ihren Rollen aus Unbreakable. Willis schafft es, seinem eher ruhigen David Dunn noch die ein oder andere Facette hinzuzufügen. Es ist schön, ihn nach Jahren mal wieder enthusiastischer zu sehen als in seinen letzten Auftritten in anderen Filmen, in denen er nur gelangweilt seine Textzeilen aufsagte, um dann die Gage kassieren zu können. Und auch Jackson scheint als durchtriebener Mr. Glass, der immer einen Masterplan im Hinterkopf hat, jede Situation kontrolliert und alle mit seinem Intellekt aushebelt.

An sich ist Glass das perfekte Gegenstück zu den heute allgegenwärtigen Comic-Verfilmungen von Marvel und DC. Während die auf überladene Action, lustige Sprüche und übertriebene Weltuntergangsszenarien setzen, hat sich dieser Film dem Gegenteil verschrieben. In ihm steckt ein Funken Realismus, er ist sehr langsam und zurückhaltend erzählt und baut dabei aber eine so spannende und packende Atmosphäre auf, die man in anderen Comic-Streifen oftmals vermisst. Selbst die Anzahl der Locations ist nur auf wenige Orte begrenzt., was dem Film noch mehr Ernsthaftigkeit und Realismus verleiht. So ist Glass so spektakulär unspektakulär, dass er im Vergleich zu anderen Filmen seines Genres etwas wirklich Außergewöhnliches ist.

Realismus ist hier ein gutes Stichwort. So stellt sich Glass nämlich über seine komplette Laufzeit von 129 Minuten äußerst interessante Fragen: Wie gerechtfertigt ist Selbstjustiz? Wer oder was ist eigentlich schon geisteskrank? Und was kann der menschliche Körper alles leisten? Beim Versuch dies alles zu beantworten, spielt er auch mit seiner eigenen Handlung. So ist man als Zuschauer ständig hin und her gerissen. Sind David, Kevin und Elijah wirklich krank oder haben sie doch besondere Fähigkeiten?

Aber auch auf anderen Ebenen macht der Film einiges richtig. Der Soundtrack ist eine Mischung aus den Haupttehmen von Split und Unbreakable. Sie passen nicht nur perfekt zur Atmosphäre des Films, sondern sorgen hier und da auch für eine Portion Nostalgie. Aber auch die Kameraarbeit von Mike Gioulakis weiß zu überzeugen. Denn es gibt eine Reihe an sehr innovativen und stilistisch hervorragenden Sequenzen. Speziell eine Szene bleibt einem als Zuschauer im Kopf. Dabei rollt Samuel L. Jackson mit seinem Rollstuhl einen Gang entlang, der Fokus der Kamera ist dabei auf sein Gesicht gerichtet, während im verschwommenen Hintergrund McAvoy der ‚Bestie‘ etwas Ausgang beschert.

Samuel L. Jackson ist der Dritte im Bunde © Unviersal Pictures

… und Arroganz?

Doch leider hat der Film auch seine Probleme. Viele Kritker haben M. Night Shyamalan eine gute Portion Arroganz vorgeworfen. Denn wie anfangs schon erwähnt, muss man unbedingt die beiden Vorgänger von Glass gesehen haben, um ihn nur ansatzweise verstehen zu können. Die drei Hauptcharaktere bekommen nämlich keinerlei Einführung oder Vorgeschichte – schließlich gab es die schon in Unbreakable und Split.

Das kann man selbstverständlich als arrogant betiteln. Betrachtet man allerdings andere Filmreihen wie Der Herr der Ringe, Harry Potter oder eben auch die Marvel-Filme, die ebenfalls aufeinander aufbauen und alleinstehend oft gar keinen Sinn machen, wenn man die vorangegangenen Teile nicht kennt, dann scheint diese Kritik im ersten Moment eher ins Leere zu laufen. Doch man kann die Frustration darüber auch nachvollziehen. Bei Glass handelt es sich eben um keinen Film mit einer klassischen Erzählstruktur. Und wenn man das weiß, dann versteht man ihn auch besser. Ob man das nun gut oder schlecht findet, ist jedem selbst überlassen. Die Idee eine Handlung bewusst so zu konzipieren, dass es drei Filme braucht, ist definitiv gewagt, aber auch mutig und innovativ.

Auch ein großes Problem sind die zahlreichen Logiklücken. So wird McAvoys Charakter damit in Schach gehalten, indem eine Vorrichtung ein grelles Licht ausstrahlt, wenn er sich der Tür nähert, und sich dadurch seine Persönlichkeiten wechseln. Das ist gut, weil man so eine Vielzahl von ihnen zu Gesicht bekommt. Aber man fragt sich dann schon, warum er sich nicht einfach die Augen zuhält oder sein Kissen vor Gesicht hält, und dann zur Tür geht. Zudem scheint die Anstalt, in der der Großteil des Films spielt über so gut wie gar keine Sicherheitssysteme zu verfügen. Schludrige Pfleger, faule Wärter und leicht manipulierbare Überwachungskameras sind da nur die Spitze des Eisbergs.

Es ist auch sehr schade, dass Any Taylor-Joys Charakter aus Split sehr wenig Screen-Time hat. So sieht man sie in vier oder fünf Szenen. Und da wirkt sie eigentlich immer fehl am Platz – was tragisch ist, denn schließlich ist sie eine sehr talentierte Schauspielerin und ihre Figur war im Vorgänger ein so wichtiger Teil der Handlung.

Polarisierend bis zum Ende

Im Film werden einige Entscheidungen getroffen, die die Zuschauer spalten werden. Eine davon ist seine zunächst fragmentarisch wirkende Drei-Akt-Struktur. Jedem der drei Hauptcharaktere ist dabei ein Teil zugewiesen. So geht es im ersten Akt um David Dunn, im zweiten um Kevin und ‚Die Horde‘ und im dritten um Mr. Glass. Diese Herangehensweise ist zugegeben sehr gewagt und andersartig, glaubt man doch manchmal die anderen Figuren würden in der Gesamthandlung untergehen. Doch an sich funktioniert es.

Aber eben auch die langsame Erzählweise kann an einigen Stellen etwas ermüdend wirken – speziell wenn man sich auf den großen Endkampf freut. Doch auch der fällt sehr einfach und vergleichsweise unspektakulär aus (keine Explosionen oder durchstilisierte Kampfchoreographien). Schaut man sich allerdings die beiden Vorgänger an, dann weiß man, dass es bei ihnen auch funktioniert hat. Man muss als Zuschauer nur wissen, worauf man sich einlässt.

Und natürlich wäre ein Shyamalan-Film kein echter Shyamalan-Film, wenn es am Ende keinen Twist geben würde. Von denen werden dem Zuschauer sogar zwei bis drei serviert. Man kann vom Finale und der Auflösung der Frage, ob es denn nun wirklich übernatürliche Menschen gibt, halten was man will. Aber niemand kann leugnen, dass die Antwort mehr als überraschend um die Ecke biegt und einem gehörig das Gehirn durchrührt. Und das ist faszinierend, polarisierend, anders, mutig und allem voran gewagt – wie dieser Film.


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