Liebe und Hass brauchen keine Übersetzung

In unserer Rubrik “Eine Ode an…” huldigt abwechselnd einer unserer Redakteure ein filmisches Highlight, was ihn in den letzten Tagen, Monaten oder Jahren bewegt hat. Heute entführt Euch Mike auf eine spannende Reise in die Gehörlosigkeit. Seine “Ode an…” geht heute an The Tribe.

Myroslav Slaboshpytskiy verschleppt uns in einem dreckigen Van und wirft uns mitten ins ukrainische Gangleben. Gewalt herrscht vor und Liebe findet man im Entferntesten Sinne bei den Prostituierten. Kein einziges Wort wird gesprochen, denn “The Tribe” verzichtet komplett darauf. Die Interpretation der Dialoge bleibt somit dem Zuschauer überlassen. 

 

“Dieser Film ist in Gebärdensprache. Er verzichtet bewusst auf Übersetzung, Untertitel und Voice-Over”,

so das Intro zu “The Tribe”. Kann das funktionieren?

 

“The Tribe” entführt uns in die Welt der Hörgeschädigten. Wir verfolgen Sergej (Grigori Fesenko), der zu Beginn des Film in ein Internat für taube Jugendliche kommt. Hier lernt er schnell The Tribe kenne. Eine Gruppe Jugendkrimineller, die sich durch Prostitution, Raubüberfälle und ähnliches ihr Taschengeld auffüllt. Sergej steigt schnell in der Hierarchie der Gang auf und wird mit der Beaufsichtigung der zwei sich prostituierenden Mitschüler Anja (Yana Novikova) und Svetka (Rosi Babiy) beauftragt. Als er sich in Anja verliebt, beginnt Sergej die Regeln von The Tribe zu brechen und eine Serie von Gewalttaten nimmt seinen Lauf.

Die recht simple Geschichte von Gesellschaftszwängen und der Liebe, die diese überkommt, ist nichts, was nicht irgendwo schon einmal dagewesen wäre. Eine Liebesgeschichte, die in einem ukrainischen Gangumfeld stattfindet, welches naturgegeben mit Gewalt Einzug erhält. Mehrere Morde, Raubüberfälle, Schlägereien und auch eine Abtreibung, werden mit erschreckender Stille und Ruhe dargestellt und repräsentiert so die Generation P(essimismus) des russichen/ ukrainischen Autorenfilms. Dennoch wird die Liebesgeschichte durch Miroslav Slaboshpitsky gut in die Welt von The Tribe und der Gehörlosen übertragen.

The Tribe - © rapid eye movies

“The Tribe”, ein Film der komplett ohne Dialoge auskommt. Das Konzept, den Film ausschließlich über Gebärdensprache zu erzählen, und so dem Zuschauer die Detailinterpretation der einzelnen Szenen zu überlassen, geht auf. Cinematografisch wird “The Tribe” durch stimmungsvolle 2-3 minütigen Longshots erzählt und lässt so Zeit sich auf die Figuren und die derzeitige Szene einzulassen. Durch das Zusammenspiel von Kamera, Gebärdensprache und der durchaus expliziten Bilddarstellung erzeugt Miroslav Slaboshpitsky ein Bild, das für sich selbst spricht ohne auch nur ein einziges gesprochenes Wort zu gebrauchen. Unterstützend sind hierbei auch die Requisiten, die die Charaktere innerhalb der Szenen benutzen und so auch die Geschichte durch kleine Details vorantreiben.

Das Experiment auf hörbare Sprache und das Ausblenden bestimmer Geräusche ist Miroslav Slaboshpitsky geglückt, wenn das Endergebnis auch durch eine simple Story abgeschwächt wird um so den Zuschauer nicht mit der Bild-Gewalt und den wilden Gestikulierungen der Schauspieler zu überfordern.

Ukrainisches Gangleben trifft auf Romanze, Gewalt folgt auf Liebe und das in Gebärdensprache.

Regie: Myroslav Slaboshpytskiy

Cast: Grigoriy Fesenko, Yana Novikova, Rosa Babiy, Alexander Dsiadevich, Yaroslav Biletskiy, Ivan Tishko, Alexander Osadchiy, Alexander Sidelnikov, Sasha Rusakov, Denis Gruba, Dania Bykobiy, Lenia Pisanenko, Alexander Panivan, Kirill Koshik, Marina Panivan, Tatiana Radchenko, Ludmila Rudenko. (Sign language)

Crew: written by Myroslav Slaboshpytskiy. Camera (color, widescreen, HD), Valentyn Vasyanovich; editor, Vasyanovych; production designer, Vlad Odudenko; costume designer, Alena Gres; sound designer, Sergiy Stepanskiy.


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