Portrait: Miles Teller – Permanenter Blechschaden
Wenn Ryan Gosling und Emma Stone nahe des Griffith Parks in Los Angeles das Tanzbein schwingen und zu Lovely Night steppen, kann man sich eigentlich kein besseres Pärchen in dieser Location vorstellen. Doch der Ursprungsgedanke war ein ganz anderer: Miles Teller und Emma Watson hätten eigentlich die Rollen der beiden Liebenden in La La Land einnehmen sollen. Daraus ist am Ende nichts geworden – vielleicht auch, weil kein Autounfall im Drehbuch geschrieben stand…
Autounfall? Ja, Autounfall! Denn wer sich mit der bisherigen Filmchronik von Teller auseinander setzt wird schnell merken, dass Autounfälle einen großen Teil seines Werks einnehmen. Das ist besonders erwähnenswert, da Teller selbst als junger Mann in einen schweren Autounfall verwickelt war. Es war der Sommer des Jahres 2007, als Teller zusammen mit zwei Freunden zum Festival Gathering of the Vibes nach Florida reiste. Teller saß auf dem Beifahrersitz, das Auto war voll mit Campingausrüstung.
Plötzlich kam der Wagen mit 80 Meilen pro Stunde ins Schleudern, Tellers Kumpel am Lenkrad verlor die Kontrolle und das Fahrzeug überschlug sich in der Folge satte acht Mal. Als Teller später wach wurde, lag er 30 Meter vom Fahrzeug entfernt – sein Gesicht war voller Blut. „99,9 Prozent aller Menschen wären bei diesem Unfall wohl gestorben – das sagte man mir später im Krankenhaus“, erzählt Teller heute. Er – und auch seine beiden Freunde – hatten an diesem Tag mehr als nur einen Schutzengel.
Narben fürs Leben
Ein gebrochenes Handgelenk und zahlreiche Schnitte in Gesicht und auf den Schultern. Letztlich ein guter Deal für Miles Teller. Noch heute sieht man die Narben an Kehle und Kinn – sie sind so ein bisschen zu Tellers Markenzeichen geworden. Auf der einen Seite noch ein sehr jugendliches Gesicht, auf der anderen Seite zeichnet sich sein Gesicht dennoch durch das gewisse Etwas aus, auch durch die Narben.
In der Szene gilt Miles Teller als arrogant und unnahbar. Dieses Bild wurde vor allem durch eine Reportage des US-amerikanischen Magazins Esquire aus dem Jahr 2015 verstärkt. Die Reporterin Anna Peele traf sich mit Teller in einem Restaurant und schrieb danach über einen arroganten Fatzke mit Star-Allüren und völlig übertriebenem Selbstbewusstsein. Es dauerte nicht lange, da sprangen Teller die ersten Schauspielkollegen zur Seite und lobten ihn und seine Art in höchsten Tönen. Michael B. Jordan und Kate Mara zum Beispiel ließen nichts auf Teller kommen.
Fakt ist aber auch: Über Tellers potenzielle Rolle in Damien Chazelles Oscar-Film La La Land gibt es bis heute noch keine richtige Klarheit. Gerüchte, Teller sei der Erfolg bei Whiplash zu Ohren gestiegen und er würde eine horrende Gage fordern wurden zwar von keiner Seite bestätigt, liegen dennoch nahe. Und so kam es, dass Chazelle sich letztlich für Ryan Gosling und gegen Miles Teller entschied.
Aber auch ohne La La Land lässt sich die Biografie von Teller doch ganz ordentlich lesen. Nach einigen Comedy-Kurzfilmen stand er 2010 in Rabbit Hole erstmals auf der ganz großen Bühne und spielte einen jungen Mann, der – Achtung! – einen tödlichen Verkehrsunfall verursachte und danach ausgerechnet der Mutter des Opfers (Nicole Kidman) näher kommt. In seiner ersten großen Rolle ließ sich schon erahnen, welches Potenzial Teller hat und dass er auch in Filmen mit klassischen Drama-Elementen seinen Platz finden kann.
Therapie am Set
Rabbit Hole-Regisseur John Cameron Mitchell wollte es beim Dreh übrigens ganz genau wissen und sagte Teller, er solle in den emotionalen Szenen doch an seine beiden Freunde denken, die nur ein Jahr nach Tellers Unfall 2007, ebenfalls bei Unfällen ums Leben kamen. „Das war schon krass, aber es hat etwas mit mir getan. Erst wollte ich nicht, aber dann war es die beste Therapie, die ich hätte kriegen können“, sagt Teller heute.
2011 folgte Tellers Rolle in Footloose, der Neuverfilmung des 1984er-Klassikers mit Kevin Bacon. Das Casting war für Teller eine Art Selbstläufer – schließlich hatte er zuvor bereits im Footloose-Musical am New Yorker Broadway-Theater mitgewirkt. Im Film schlüpfte Teller – wie auch im Musical – in die Rolle von Willard Hewitt, der als Sidekick von Ren MacCormack (Kenny Wormald) das Tanzbein ordentlich schwang und somit die Remake-Nachfolge von Chris Penn ehrenhaft übernahm. Auch in Footloose kommt ein Autounfall zur Sprache: Das Tanzverbot an der High School wurde von den erwachsenen Bewohnern des Ortes nach einem tödlichen Autounfall von fünf Teenagern beschlossen. Auch hier scheint es kein Zufall, dass Teller im Film diese Geschichte erzählt.
Größere Bekanntheit erlangte Teller dann aber ein Jahr später mit dem Teenie-Hangover Project X. In dem Found-Footage-Film spielte Teller die Rolle von Miles, einem High School-Schüler der zu der klischeebehafteten Truppe der Coolen gehört und die Hauptdarsteller um Thomas Mann und Co. mit Alkohol und Drogen versorgt. Seine Rolle in 21 & Over (2013) geht in eine ähnliche Richtung – jung und partysüchtig! Der Anspruch bei der Rollenwahl Tellers schien einen unerwünschten beschränkten Weg einzunehmen.
In The Spectacular Now ist Teller im selben Jahr wieder in einer typischen Coming-of-Age-Geschichte zu sehen – an der Seite von Shailene Woodley konnten die Kritiker hier überzeugt werden. Das Schauspielduo heimste für ihre Darstellung sogar eine Auszeichnung in der Kategorie „U.S. Dramatic Special Jury Award for Acting“ auf dem Sundance Film Festival ein. Bis heute Tellers einzige große Auszeichnung. Bemerkenswert: Auch in The Spectacular Now sind es wieder Szenen in Autos, die dem Film entscheidende Wendungen geben. Teller bestreitet zwar, sein Trauma durch die Filme zu verarbeiten – dennoch lassen die immer wieder aufkommenden Fahrzeug-Szenen diesen Eindruck entstehen.
Mit den Drums in der Hand ganz nach oben
Den ganz großen Knall – im wahrsten Sinne des Wortes – gab es dann 2014. Der bis dato unbekannte Regisseur Damien Chazelle suchte für seinen Film Whiplash noch Schauspieler. Miles Teller soll Chazelles erste Wahl für die Rolle des jungen Musikschülers Andrew Neiman gewesen sein. Mit JK Simmons war zudem schon ein populärer Schauspieler an Board – Teller sah die Chance und sagte zu. Und diese Entscheidung sollte er nicht bereuen: In Whiplash spielte Teller so aufopferungsvoll und verzweifelt, in Erinnerung bleiben neben den blutigen Fingern auch die durchgeschwitzten T-Shirts. Gerüchte sagen, dass sich Teller wirklich so sehr in die Rolle rein steigerte, dass das Schwitzen nicht künstlich erzeugt werden musste.
Mit JK Simmons hatte Teller zudem einen Mentor an der Seite, von dem er eine Menge lernen konnte. Im Nachhinein gab Simmons übrigens an, dass auch er von Teller lernen konnte: „Miles ist sehr selbstbewusst, das hat mich beeindruckt. Durch seine musikalische Vergangenheit konnte er mir in Sachen Musik einiges beibringen“, erklärte der Glatzkopf in einem Interview. Am Ende war es aber Simmons, der den Oscar bekam – Teller war aber spätestens jetzt ein Begriff für jeden auf der großen Hollywood-Bühne. Und natürlich gab es auch in Whiplash einen Autounfall – unglaublich stark inszeniert.
Was folgte waren Rollen in der Komödie Für immer Single, wo er mitunter der einzige Lichtblick blieb, in der charmanten Liebeskomödie Two Night Stand und als Nebendarsteller in der Die Bestimmung-Filmreihe. Das nennt man dann wohl „einfach ans schnelle Geld kommen“. Doch Teller schaffte es in jedem dieser Filme, den interessantesten Part einzunehmen. Das galt dann auch für seine Rolle in der Fantastic Four-Neuauflage von 2015, in der Teller die Rolle von Mr. Fantastic einnahm und neben seinen ansonsten sehr blassen Schauspielkollegen überzeugte.
War Dogs: Wechsel zwischen Drama und Comedy
Zusammen mit Jonah Hill stand Teller dann 2016 in War Dogs vor der Kamera. In dem Film von Hangover-Regisseur Todd Phillips spielt Teller einen jungen Mann, der in seiner Naivität das schnelle Geld durch Waffenschmuggel wittert. Tatsächlich geht dieser Plan auch auf und zusammen mit seinem Kumpel, der von Jonah Hill verkörpert wird, begibt sich das Duo auf teilweise lebensgefährliche Reisen. Hier zeigte Teller, dass er – ähnlich wie Hill – das Zeug dazu hat, schnell zwischen Comedy und Drama wechseln zu können. Diesen schmalen Grat können innerhalb eines Films nur die wenigsten Schauspieler gehen.
In seinen letzten beiden Kinofilmen Bleed For This und No Way Out schlüpfte Teller dann in die Rollen eines Boxers und eines Feuerwehrmannes. Diese beiden emotionalen Filme sind nur konsequent auf Tellers Weg hin zum seriösen Hollywoodschauspieler. Auch hier überzeugte er wieder einmal mit der richtigen Mischung aus coolen Sprüchen und einfach mal die Klappe halten. Man schaut Teller gerne zu bei dem was er macht, seine Präsenz ist kaum zu übersehen. Manchmal blickt er zwar etwas unemotional drein, dennoch trifft er immer die richtigen Töne und wirkt nicht so regungslos, wie es zum Beispiel einem Ryan Gosling nachgesagt wird.
Teller und Refn? Das passt!
Ob Boxring, Waldbrand oder Drumset – Teller ist häufig mit schnellen Elementen auf der Kinoleinwand zu sehen. Es ist dann eine gelungene Mischung aus Tempo und einem ruhigen Zeitgenossen, der durch sein immer wieder auffallendes jugendliches Auftreten oft den Eindruck vermittelt, ungewollt in brenzlige Situationen rein geschmissen geworden zu sein.
In seinem aktuellen Projekt ist davon allerdings nicht mehr allzu viel zu sehen. Das liegt wohl aber auch an dem Regisseur und der Machart der Serie Too Old To Die Young. Denn der große Virtuose Nicolas Wening Refn hat seine Finger im Spiel – und jeder, der Refn-Werke kennt, weiß: Das wird nicht einfach. Und so spielt Teller die Rolle des Polizisten in typischer Refn-Manier extrem langsam und nachdenklich. Die Gespräche im Too Old To Die Young wirken wie langgezogene Kaugummis, der Neo-Noir-Stil liefert dafür aber Bilder, die allesamt in den Kunstgalerien dieser Welt hängen könnten.
Dass ausgerechnet Teller die Hauptrolle in der Refn-Serie bekam, überrascht beim genauen Nachdenken eigentlich nicht. Auch wenn seine Filme oftmals laut waren – Teller war es eigentlich nie. Er überzeugte vor allem durch seine Gestik und Mimik und durch seine durchdachte Kommunikation. In Too Old Too Die Young scheint er nun genau diese Leidenschaft ausleben zu können. Egal ob man es arrogant, eitel oder einfach nur selbstbewusst nennt – Teller macht in der Amazon-Serie genau das, was er am besten kann. Das weiß er. Und dafür sollte man ihm Respekt zollen.
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