Bin-Jip – Leere Häuser: Ode an die Vergessenen
Ein meisterhafter Mix aus Autoren- und Unterhaltungskino, ein wendungsreicher Mistery-Thriller, ein vampirisches Horror-Liebesdrama und wilde Actionschlachten in den 1930er-Jahren. Bisher waren die Filme, die wir im Seoultember hier auf Popcorn & Nachos vorgestellt haben, vor allem eines: Aufregend. Mit Bin-Jip – Leere Häuser haben wir uns nun einen Film für die ganz leisen Töne vorgenommen. Warum der Streifen dennoch nicht minder aufregend ist, lest ihr hier.
Eine kleine Geistergeschichte
2004 inszenierte der erfahrene Regisseur Kim Ki-duk die Geschichte um den jungen Landstreicher Tae-suk (Lee Hyun-kyoon). Dessen einziger Besitz: ein Motorrad. Ziellos treibt Tae-suk durch die Stadt, bringt Flyer an Wohnungen an und bricht in diese ein, sofern der Flyer nach gewisser Zeit nicht entfernt wurde. Er isst, schläft und sucht sich dann unbemerkt die nächste Wohnung. Gestohlen wird nie etwas. Vielmehr hinterlässt der Protagonist eine nette Aufmerksamkeit. Kleine Reparaturen, Waschen der Wäsche des Hausbesitzers oder ein gründlicher Wohnungsputz, zum Beispiel.
Als er jedoch in das Haus der, von ihrem reichen Ehemann misshandelten, Sun-hwa (Lee Seung-yeon) einbricht, ist diese noch vor Ort und versteckt sich vor ihm. Nach einer kurzen Beobachtungsphase – und einer gewaltsamen Abrechnung mit dem gewalttätigen Gatten – fliehen beide und begeben sich gemeinsam auf Tae-suks Vagabunden-Leben, in dem sich eine stumme Liebesgeschichte entwickelt.
Ein stummer Einzelgänger, wohl ohne Familie und Freunde, unbemerkt von Haus zu Haus wandernd – und eine missbrauchte Hausfrau, die ihr Leben abgekapselt vom alltäglichen Miteinander unglücklich zu Hause verbringt. Leere Hüllen in sich leer anfühlenden, fremden Häusern. Zwei Randnotizen, in einer modernen, zunehmend individualisierten koreanischen Gesellschaft. Zwei Menschen, die komplett unter dem Radar verschwinden und trotzdem zueinander finden. Zwei Geister, die aufgrund der ihnen drohenden Konsequenzen am liebsten nicht wahrgenommen werden würden und sich zunehmend in eine surreale Mischwelt aus Fantasie und Realität flüchten.
Nichtsdestotrotz zwei Geister mit Persönlichkeit und Emotionen, für die diese ein Ventil haben. Sun-hwa modelt, wenngleich ihre Fotos in den eigenen vier Wänden verbleiben, und Tae-suk spielt Golf in der Stadt. Mit einem Draht bringt er dabei den Golfball an Bäumen an, um ja auch niemanden zu verletzen. In jeden Schlag legt der ruhige und sensible Protagonist Wut, Aggression und Schmerz, jeder Schlag tut spürbar weh. Der englische Titel 3-Iron kommt nicht von ungefähr und ist eine schöne Metapher auf zwei Personen, die alle anderen am liebsten so weit wie möglich von sich schlagen möchten, es aber doch – aufgrund des Drahtes – nie schaffen.
Da Tae-suk im gesamten Film kein einziges Wort spricht, sind die Golf-Szenen eine kleine emotionale Katharsis, ein Moment, in dem die Verletzlichkeit der Hauptfigur offenbart wird und das Publikum einen Einblick in dessen mysteriöses Innere verschaffen kann.
Schweigen ist Gold
Apropos Nicht-Sprechen: Auch Sun-hwa spricht nur zu ihrem Ehemann, die Beziehung zu Tae-suk läuft in der gesamten Laufzeit des Films komplett wortlos ab. Die nuancierte Liebesgeschichte der beiden Figuren wird in langen Einstellungen komplett nonverbal durch Handlungen, Gesten und Mimik dargestellt und ist vielleicht gerade deshalb umso intensiver.
Auch durch die langen Kameraeinstellungen und dadurch, dass die beiden Hauptfiguren oft im Hintergrund oder ein wenig außerhalb des goldenen Schnittes platziert, verstärkt sich der Eindruck von zwei Personen, die außerhalb des Blickfelds Dritter agieren möchten. Auf diese Aspekte muss man sich natürlich einlassen. Bin-jip ist sicherlich kein gewöhnlicher Film und pures Arthaus-Kino. Wer das kann, bekommt ein wunderbares lyrisches Plädoyer auf die Macht der Stille, sowie eine zunehmend surreale Geschichte von zwei einsamen Außenseitern, die trotz aller Widrigkeiten ihren Seelenverwandten finden.
Eine intensive Geschichte von zwei „Geistern“, die gegen Ende wie ein bittersüßes Märchen wirkt – oder, um es mit den Worten von Kim Ki-Duk zu sagen, die den Abspann einläuten:
“It’s hard to tell that the world we live in is either a reality or a dream.”
Von Bernd Wetzl
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