Milchkrieg in Dalsmynni – Die Kuh wird vom Eis geholt

Im Land, wo Milch und Honig fließen… naja, fast. Immerhin aber Island spielt das Drama Milchkrieg in Dalsmynni und läuft seit Donnerstag auch in ausgewählten Kinos hier bei uns, im schnöden Deutschland. Eine weibliche Protagonistin, die sich alleine gegen das System stellt und aktuelle Regeln und Traditionen kritisch hinterfragt – Milchkrieg in Dalsmynni klingt wie ein Film, der perfekt den Zeitgeist trifft. Dazu das ungewöhnliche Setting einer kleinen, isländischen Gemeinde, welches die Geschichte um Inga (Arndís Hrönn Egilsdóttir) umrahmt. Klingt doch wie eine spannende Filmperle, auf die man vielleicht einen Blick werfen sollte? Wir nehmen Milchkrieg in Dalsmynni unter die Lupe und beantworten diese Frage!

Inga und ihr Mann betreiben in der isländischen Provinz eine kleine, verschuldete Milchfarm. Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes will Inga ihrer beruflichen Misere ein Ende setzen. Den Schuldigen für die Probleme hat sie längst ausgemacht: die lokale Genossenschaft, die ihre Monopolstellung gnadenlos ausnutzt und die Bauern mit mafiösen Methoden drangsaliert. So werden den Landwirten Regeln beim Ein- und Verkauf gesetzt, niedrige Preise bezahlt und mit Denunziantentum der Status Quo festgesetzt. Alles unter der Maxime, ausschließlich den lokalen Handel zu schützen. Doch Inga gibt nicht klein bei. Mit Einsatz von sozialen Medien und mutigen Mitstreitern patente Kämpferin ihren Standpunkt klar. Dabei legt sie sich mit der alles beherrschenden, scheinbar übermächtigen Genossenschaft an, um ihr Ziel zu erreichen: freien Handel. Trotz heftigem Widerstand steht Inga ihre Frau im Kampf David gegen Goliath.

Mit seinen gerade einmal 350.000 Einwohnern, 60% davon alleine in der Hauptstadt Reykjavik, ist offensichtlich, dass für die Kleinbauern in Dalsmynni kein allzu großer Absatzmarkt besteht – auch ohne Handelsembargos. Entsprechend lässt sich der Widerstand aus Teilen der Dorfgemeinde gegen in gewisser Weise nachvollziehen, sichert die Genossenschaft durch den Verkauf örtlicher Produkte zumindest ein Existenzminimum für die hart arbeitenden Agrarwirte. Im Gegenzug wird allerdings auch die freie Marktwirtschaft ausgehebelt. Den Bauern werden Preise, Abnehmer und sogar Futtermittel und Produktionsabläufe vorgeschrieben. Es ist der traditionsreiche Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen Kollektiv und Individuum und auch zwischen Land und Stadt.

Ein Herz und eine Seele – und eine Verbildlichung von Ingas Charakter © Haut et Court

Wie eine störrische Kuh

Auch in Dalsmynni ist man füreinander da. Jeder Einwohner kennt, begrüßt, kümmert und sorgt sich um die Nachbarn der Gemeinde. Wer auch hier in Deutschland eher ländlich aufgewachsen ist, wird viele Motive aus Milchkrieg in Dalsmynni wiedererkenne. Das Getratsche, die Abwicklungen hinter dem Rücken anderer und das zur Schau stellen von Andersartigkeit. In Island ticken die Uhren aber dann eben doch ein bisschen anders. Bezeichnend hierfür die Protagonistin Inga die ganz ungewohnt für einen Film dieser Art und insbesondere für eine Hauptfigur erscheint.

Bezeichnend hierfür die Eröffnungsszene des Films, in der eine Kuh ein junges Kalb gebärt. Wortlos, resolut und fast schon mechanisch, zieht Inga das junge Wesen aus dem Rind. Während sich der Zuschauer so ein wenig über die Begleitumstände dieses nicht ganz so leckeren Vorgangs ekelt, wird sofort klar, mit wem man es bei Inga zu tun hat. Klar, als Frau in einer Männerdomäne ist ein solches Auftreten nichts Seltenes, doch als Hauptfigur in einem Langfilm erweist sich die lakonische Darstellung Ingas als durchaus erfrischend.

Mit wenig Charisma, mit wenig Witz und auch mit wenigen Worten ist Inga alles andere als eine typische Heldin, aber eben auch kein Antiheld. Dass der Film trotz so einer Hauptfigur und eines sehr gemäßigten Erzähltempos bei der Stange hält, verdankt er vor allem seiner Optik. Selbst einfach Halbtotale in Räumen werden gekonnt per goldenen Schnitt inszeniert, die Bildausschnitte sind kreativ und mit Bedacht gewählt und die Schärfen immer an der richtigen Stellen. Garniert wird das ganze mit tollen Drohnen- und Weitwinkel-Aufnahmen der isländischen Landschaft. Insgesamt beeindruckt die Kinematographie vor allem durch ihre Entschleunigung und Zurückgenommenheit. Es ist ein bisschen wie eine Reise, in ein fremdes Land und eine einfache Gesellschaft – zumindest bis Inga gegen die Genossenschaft vorgeht.

Mit ihrem Milch-Anhänger hat Inga noch so einiges vor… © Haut et Court

Den Kuhhandel abschließen?

Denn dann kommt die Ambivalenz des Filmes zu tragen. Klar, dadurch, dass Inga unsere Protagonistin darstellt, mag die Geschichte von Grund auf befangen sein. Und auch die Methoden der sogenannten “Milch-Mafia”, die immer mehr in Denunziantentum und Einschüchterungstaktiken abdriften, werden deutlich verurteilt. Jedoch vermeidet es auch Regisseur Grímur Hákonarson eine Aussage zu treffen. Was sich ein bisschen anfühlen mag wie ein Rückzieher, verleiht den Film immer mehr einen dokumentarischen Anstrich.

Insbesondere da der Film durch isländische TV-Reporter, die nach einiger Zeit auf dem Fall aufmerksam werden, noch eine zweite Ebene bekommen. Die Frage, welcher Ansatz für die Situation der Einwohner nun der richtige sei – Sicherheit und Stillstand versus Freiheit und ein fehlendes Sicherheitsnetz. Diese Frage überlässt Milchkrieg in Dalsmynni dann dem Publikum und hinterlässt es damit genauso zwiegespalten wie die Bewohner der isländischen Gemeinde.

Dass mag man kritisieren dürfen, für mich hat diese Ambivalenz aber dann doch noch funktioniert. Stellenweise hätte ich mir sogar noch mehr Grautöne gewünscht. Ingas instabilen Gemütszustand hätte man noch stärker herausheben dürfen und auch die Genossenschaft wird zu plump als böse porträtiert, was so ein wenig im Gegensatz zur schlussendlichen Aussage des Streifens verläuft. Dennoch ist der Film eine interessante, sehr naturalistische Dokumentation des ländlichen Irlands und eine adäquate Allegorie darauf, wie viel Gemeinschaft und Abschottung gut ist. Dass vor allem diese Überlegungen im Vordergrund stehen, beweisen die sehr im Hintergrund agierenden Charaktere, die trotzdem durch die visuelle Inszenierung und das entspannte Pacing glänzen.

Geglänzt hat auch so einiges im Filmjahr 2019!

Flo, Mike und Bernd haben sich für euch durch alle 12 Monate des vergangenen Jahres gewühlt und präsentieren die High- und Low-Lights in einer Popcast-Spezialepisode. Über 3 Stunden lang wird hier gelobt, kritisiert, gestichelt und am Ende doch versöhnlich auf das Jahr zurückgeblickt.

Hört doch mal rein!


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Archiv

Archive

Filme der Woche – 1917

JUDY

KNIVES OUT